Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus: Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
[ Bestand in K10plus ]
"... endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!"
- 98-1/2-091
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"... endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!"
- Goethe in Rom : Publikation zur Eröffnung der Casa di
Goethe in Rom / hrsg. von Konrad Scheurmann ... - Mainz :
von Zabern. - 28 cm. - ISBN 3-8053-2013-2 : DM 128.00
- [4719]
- Bd. 1. Essays. - 1997. - 232 S. : Ill.
- Bd. 2. Katalog. - 1997. - 230 S. : Ill.
Repräsentativität und hohe Qualitätsmaßstäbe prägten die Vorbereitung
und Einrichtung der Casa di Goethe in Goethes ehemaliger Wohnung am
Corso, 18 in Rom. Dieses erste ausländische Museum der Bundesrepublik
Deutschland, das mit dezidierter Unterstützung der Bundesregierung
erworben und eingerichtet wurde und nunmehr vom Arbeitskreis
Selbständiger Kultur-Institute e.V. Bonn betreut wird, ist im Mai 1997
eröffnet worden. Von vornherein war seine Konzeption weit über ein
reines Museum hinaus darauf gerichtet, ein Haus zu sein, das als
Stätte der Begegnung durch lebendige Kulturarbeit die Traditionen
deutsch-italienischer kultureller Wechselseitigkeit mit den aktuellen
Aufgaben und gegenwärtigen Bemühungen auf diesem Gebiet verbindet. Mit
dem neuen Goethe-Museum als Kern wird durch eine Studienbibliothek,[1]
Vorträge, Konzerte, Theater- und Filmaufführungen und ein ab 1999 von
der Daimler Benz AG getragenes Stipendiatenprogramm Vielfältiges in
der römischen Hauptstadt geboten. Die neue Publikation zur Casa di
Goethe genügt inhaltlich wie gestalterisch hohen Ansprüchen. Die von
führenden Wissenschaftlern verfaßten 18 Beiträge des ersten Bandes
schöpfen nicht nur den kultur- und literaturgeschichtlichen Kontext zu
Goethes Italienerlebnis aus, sie geben auch einen fesselnden Einblick
in die umfassenden quellenkritischen und denkmalpflegerischen
Vorbereitungsarbeiten, die der Rekonstruktion des Hauses und seiner
Räume und deren biographischer Zuordnung zu Goethe und dem
Künstlerkreis um J. H. W. Tischbein vorangingen. Dabei werden
Entdeckungen von z.T. einmaliger Art beschrieben, etwa die Funde aus
Wiener Archiven mit Zeugnissen, die aus der Bespitzelung Goethes durch
die österreichische Geheimpolizei stammen. Hervorgehoben werden soll
auch die Wiedergabe von Gesprächen italienischer und deutscher
Wissenschaftler, die das historische Anliegen in das heutige
wissenschaftliche und künstlerische Leben führen. Ein wenig wird die
Lektüre der Beiträge durch die uneinheitliche Zitierweise bei den
Goetheschen Texten, die bis zur philologisch veralteten Hamburger
Ausgabe reicht, gestört. Der zweite Band spiegelt die
Ausstellungsräume in ihrer derzeitigen Gestalt wider. Eine
faszinierende Folge von Kostbarkeiten, die dank vieler Leihgaben, aber
auch eigener Ankäufe für die Casa di Goethe gezeigt werden kann, wird
hier verzeichnet und gründlich kommentiert. Zu diesen Exponaten
gehören originale Gemälde, Stiche, Zeichnungen Goethes und seiner
Zeitgenosssen ebenso wie originale Briefe, Archivdokumente und vieles
andere. Das Ergebnis einer umfassenden Quellenrecherche- und
-aufbereitung wird in einer adäquat seriösen und zugleich modernen
musealen Präsentation dargeboten. Diese Präsentation folgt zwei
Prinzipien: Nach vier Räumen, die biographisch-chronologisch
orientiert sind, folgen zwei thematisch fixierte Räume zur Goetheschen
Farbenlehre, die in Italien entscheidende Impulse erhielt, und zu
Goethes Antike-Studien. Den ideell und in der Raumordnung zentralen
Saal bildet das damalige Künstleratelier Tischbeins. Hier hatte sich
Goethe täglich mit den in Rom tätigen deutschen Künstlern getroffen,
hier wurden neue Werke gegenseitig vorgestellt, ästhetische Debatten
geführt; von hier aus eroberte man sich in gemeinsamen Exkursionen die
Kunstschätze der Antike und der Renaissance in der "Hauptstadt der
Welt" (Goethe) und die Landschaft ihrer Umgebung bis nach Tivoli.
Dieser Saal mit originalen Werken von Tischbein, Lips, Angelica
Kauffmann, Heinrich Meyer, Bury, Kniep u.a. sowie mit einer extra
angefertigten neuen Kopie des berühmten, im Städelschen Kunstinstitut
in Frankfurt befindlichen Tischbein-Gemäldes Goethe in der römischen
Campagna ist ein vorzügliches Beispiel, wie vergangenes Kunstleben mit
musealen Mitteln wiedererstehen kann. Es entspricht den Intentionen
der Casa di Goethe, daß sich auch Präsentationen zur Weiterwirkung des
künstlerischen, wissenschaftlichen und poetischen Ertrags der
Italienreise Goethes anschließen, so besonders in Gestalt von
Illustrationen zu Goethes Faust aus der Sammlung Dorn, der Bemühungen
im Weimarer Bauhaus um die von Goethe inspirierte Farbpsychologie,
abstrakter Plastiken des spanischen Künstlers A. Alfaro (geb. 1929)
und der bekannten Neugestaltung des Tischbeinschen Goethekopfes durch
Andy Warhol. Moderne künstlerische Zwiesprache mit dem Thema "Goethe
und Rom" wird auch künftig Anliegen der Casa di Goethe bleiben, u.a.
mit Hilfe der erwähnten Stipendien. Nur wenige Fragen bleiben im
Katalog offen. So wird z.B. bei den Höhepunkten des Goetheschen Werkes
im Raum 1 der Faust kaum gewürdigt (S. 32 ff.), Tivoli bei Rom aus
unerfindlichen Gründen dem Raum 4 (Süditalien) zugeordnet (S. 110
- 111). Die Erläuterungen zu den einzelnen, überwiegend abgebildeten
Exponaten sind in der Regel sorgsam gearbeitet und verbinden geschickt
die konkrete Interpretation mit weiterführenden Aussagen. Eine gewisse
Neigung zu Simplifizierungen, etwa beim Verhältnis Goethe - Herder
(Bruch mit Goethe nur wegen "finanzieller Forderungen" ?, S. 37) oder
Carl August ("passionierter Jäger" sucht Goethe als Gefährten ?, S.
39) sind die Ausnahme. Allerdings stören auch im Katalog die diffusen
Zitierquellen etwas. Die Aufnahme der - notwendigerweise
oberflächlichen - Kurzbiographie zu Goethe (S. 208 - 219) macht nicht
viel Sinn, nachdem zu Goethes schöpferischer Biographie im gesamten
Katalog, besonders zu Raum 1, Profundes dargeboten wird. Eine knappe
Goethe-Chronik hätte diesen Zweck besser erfüllt. Doch all das kann
den Gesamteindruck nicht schmälern: Diese Publikation wird sehr
schnell zu einem unentbehrlichen Standardwerk auf ihrem Gebiet werden.
Es sei noch darauf hingewiesen, daß aus gleichem Anlaß eine
zweibändige Faksimile-Edition des Goetheschen Tagebuchs der
Italienischen Reise für Frau von Stein - der Keimzelle der 25 Jahre
später verfaßten Italienischen Reise - erschienen ist.[2] Diese
musterhafte Edition ergänzt das Katalogwerk in glücklicher Weise.
Siegfried Seifert
- [1]
- Den Grundstock der Bibliothek bildet die Goethe-Sammlung Dorn, zu
der bereits ein eigenes zweibändiges Katalogwerk vorliegt (vgl. IFB
94-2-282):
- "In der Ferne gegenwärtig" : Katalog der Goethe-Bibliothek Dorn /
bearb. und hrsg. von Richard W. Dorn und Michael Drucker. - Wiesbaden
: Harrassowitz. - 25 cm. - (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen ;
...) [1929]. - [Grundwerk]. - 1986. - XIX, 414 S. - (... ; 23).
- ISBN 3-447-02614-6 : DM 128.00. - Ergänzungsband. - 1993. - X, 137
S. - (... ; 33). - ISBN 3-447-03264-2 : DM 98.00
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- [2]
- Reise-Tagebuch 1786 : (Italienische Reise) / Johann Wolfgang von
Goethe. Hrsg. von Konrad Scheurmann und Jochen Golz. Mit Transkription
von Wolfgang Albrecht. - Mainz : von Zabern, 1997. - 440, 148 S.
- ISBN 3-8053-2001-9 : DM 260.00.
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