Angesichts dieser Entstehungsgeschichte fällt es schwer, das Werk im
einzelnen aus heutiger Sicht und damit vor dem Hintergrund heutiger
Forschungsansätze und Darstellungsformen einer Analyse und Bewertung
zu unterziehen. Unbestreitbar ist sicher der publikatorische
Stellenwert für diesen Themenkomplex. Denn umfangreichere und
Überblick bietende Arbeiten insbesondere zur Geschichte der barocken
Bibliotheksarchitektur des gesamten deutschen Sprachgebiets sind in
den vergangenen 50 Jahren kaum erschienen; die wenigen Publikationen
dieser Zeit wie etwa der Band Schöne alte Bibliotheken deuten schon
über die weitere Titelfassung an, was sie sind: Bildbände ohne den
Anspruch, wirklich eine Geschichte der Bibliotheksarchitektur zu
schreiben.[3] Eine solche vorzulegen, ist jedoch Lehmanns erklärtes
Ziel. In diesem Sinne erstellt er im ersten Band, dem eigentlichen
Textteil des Werks, eine Typologie der Bibliotheksarchitektur und
versucht so, ihre spezifische Stil- und Entwicklungsgeschichte zu
fassen. Bibliotheken werden dabei einem typologischen Evolutionsmodell
unterworfen, das von den mittelalterlichen Pultbibliotheken über die
Saalbibliotheken der (frühen) Neuzeit bis zu den Anfängen der
Magazinbibliotheken des 19. Jahrhunderts führt. Innerhalb dieses
bekannten typologisch-periodischen Grobrasters verengt Lehmann nun die
Perspektive einerseits zeitlich auf den Bibliotheksbau des Zeitraums
1550 bis 1800 - die Periode der mittelalterlichen Pultbibliotheken
dient nur als Präludium und Ausgangspunkt seiner eigentlichen
Ausführungen bzw. zur Erläuterung der bautypologischen Übergänge vom
Mittelalter zur frühen Neuzeit - , andererseits aber auch funktional
- wenn auch nicht mit letzter Konsequenz - auf den Bereich der
Klosterbibliotheken und schließlich zudem geographisch auf den
deutschsprachigen Raum einschließlich der Habsburger Lande. Durch
diese Verengung des Beschreibungsausschnitts ergibt sich für den Autor
die Notwendigkeit zur Verfeinerung des typologischen
Beschreibungsrasters und zugleich der Ansatz einer Periodisierung im
Mikroformat. So kommt Lehmann für den Kernbereich im Ergebnis zu einer
Feinperiodisierung in Frühzeit der deutschen Saalbibliothek (um 1650
- um 1710), Blütezeit der deutschen Saalbibliothek (um 1710 - um 1760)
und Spätzeit der deutschen Saalbibliothek (um 1760 - um 1800). Die
bautypologische Entwicklung wird dabei im wesentlichen an folgenden
Kriterien festgemacht: Lage der Bibliothek innerhalb der
Gesamtklosteranlage (mit den Untertypen unregelmäßig erweiterte
Anlagen und regelmäßige Anlagen), nach ihren Bezügen zu den
Nachbarräumlichkeiten und zur Geschoßwahl, schließlich hinsichtlich
der Wahl der Mittel zur äußeren Hervorhebung dieses Bauteils (Risalit,
Sporn usw.); Gestalt der Bibliothek (Galerie, Festsaal, "Enfilade",
Wandpfeilersaal, Kuppelsaal, "Einbau-Typ" usw.); Ausstattung und
Schmuck der Bibliothek (Schrankwerk, Stuck, Malerei und
ikonographische Programme). Dieses Beschreibungsraster wird außer
durch die Feinperiodisierung dann noch in allen Punkten nach den
einzelnen regionalen Ausprägungen differenziert. Für die Landschaften
allerdings, die nur wenige oder gar keine Klosterbibliotheken in allen
Zeitstufen aufweisen, ergänzt Lehmann die Ausführungen mit Beispielen
nicht-klösterlicher Bibliotheksbauten, so daß die funktionale
Eingrenzung des Themas letztlich nicht konstant ist; auf diese Weise
wird die Beschreibung der mittel- und norddeutschen Regionen erweitert
um Ausführungen zu Hofbibliotheken wie Wolfenbüttel und Weimar oder zu
Universitätsbibliotheken wie Göttingen und Greifswald. Exkursionen zu
(Kloster-)Bibliotheken des nicht-deutschsprachigen Raums (im weitesten
Sinne) finden sich insbesondere dort, wo dies aus der Perspektive
einer grundlegenden bautypologischen Evolution unabdingbar erscheint:
so sieht Lehmann wichtige Prototypen der neuzeitlichen Saalbibliothek
und damit der Klosterbibliotheken vor 1800 in der Laurenziana in
Florenz, in der Bibliothek des Escorial, in der Ambrosiana in Mailand,
in der Barberiniana in Rom und schließlich in der Bibliothèque
Mazarine in Paris ausgebildet und nimmt sie folgerichtig in seine
Darstellung auf.
In der Folge werden nun alle Ausführungen zu den einzelnen deutschen
Klosterbibliotheken grundsätzlich diesem bautypologischen
Beschreibungsraster mit seinen zeitlichen und regionalen
Unterdifferenzierungen unterworfen, so daß das Bild der
Einzelbibliothek letztlich vollständig fragmentiert wird zugunsten des
Darstellungsversuchs einer stilgeschichtlichen Gesamtentwicklung
dieses Bautyps, ein Versuch, der aber mit Blick auf die
Gleichzeitigkeit von typologisch-stilistisch eigentlich
Ungleichzeitigem aufgrund regionaler Verwerfungen (Retardierungen
neben Progressionen) im Sinne einer stringenten Evolution nicht
durchzuhalten ist. Zugleich wird bei diesem Ansatz die einzelne
Bibliothek reduziert zum Belegexemplar eines bautypologischen Details
und verschwindet so als eigenständiges Gesamtbauwerk. Im Gegenzug
ergibt sich aber eben leider nicht automatisch eine wirklich
überzeugende übergeordnete Entwicklungslinie des Bautyps
Klosterbibliothek für den Zeitraum 1550 - 1800, der das Schwinden der
Einzelformen in der Darstellung gerechtfertigt hätte. Auf der Strecke
bleiben dabei auch ein wenig die Leser, denen sich so die Fülle des
Materials nur in kleinteiligen Formalkategorien präsentiert.
Lehmann bzw. der Redaktor dürften dieses Problem selbst gesehen haben
und haben daher der Entwicklungsgeschichte der barocken
Klosterbibliothek, dem sog. Textteil, einen zweiten Band, nämlich
einen Katalogteil beigegeben. Hier werden die besprochenen
Bibliotheken nochmals in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt und mit
den wichtigsten Daten ihrer Baugeschichte, mit Quellen- und
Literaturhinweisen usw. versehen. Dennoch bleiben diese Einträge eher
Gerüst; es entsteht kein umfassendes "Bild" des jeweiligen Bauwerks.
Der Katalogteil erreicht somit nicht die heute etwa bei Großinventaren
übliche Darstellungstiefe: er bietet keine textuell geschlossene
Beschreibung und Einordnung des Einzelobjekts. Als Nachschlagewerk für
Eckdaten ist er jedoch - ganz in der Tradition von Kurzinventaren
- von großem Nutzen. Dieser Wert wird entscheidend ergänzt durch eine
Gesamtbibliographie, durch einen Anhang von Lageplänen zu den
einzelnen Bibliotheken, durch Künstlerregister, Bildnachweise,
ikonographisches und Sachverzeichnis, durch Orts- und
Personenregister. In jedem Fall dürfte gerade dieser Katalogteil
längerfristig den Wert des Gesamtwerks als entscheidendes
Nachschlagewerk zur barocken Klosterbibliothek im deutschsprachigen
Raum sichern und ist auch der Grund dafür, daß das Werk in IFB
besprochen wird. Beide Werkteile sind umfangreich mit Abbildungen
ausgestattet, die aber nicht in jedem Fall aktualisiert werden konnten
und den heutigen (Restaurierungs-)Zustand spiegeln; der Großteil des
Bildmaterials entstammt der Zeit der Bibliotheksreisen Lehmanns in den
fünfziger Jahren und erhält durch diese zeitliche Geschlossenheit
einen zusätzlichen dokumentarischen Wert.
Die barocken Klosterbibliotheken aber als Gesamtkunstwerk, als
Phänomen des barocken Universalismus, als Manifestation einer Idee, in
der der Gesamtkosmos sich auch im Microkosmos der Einzelbibliothek
spiegelt und wo in diesem Sinne Gebäude, Ausstattung, Malerei und
nicht zuletzt auch die Büchersammlung selbst programmatisch
aufeinander bezogen sind, verlieren sich im vorliegenden
Beschreibungs- und Darstellungsansatz. Auch Beschreibungsmodelle und
Methoden selbst sind zeitgebunden; mit zeitlicher Distanz treten
Fragen u.a. auch nach ihrer Aussagekraft deutlicher hervor. Für die
Beschreibung von Klosterbibliotheken eines Sprachraums und einer
Großepoche mußte ein bautypologisch-stilistisches Entwicklungsmodell,
wie das vorgestellte, letztlich an die Grenzen seiner Aussagefähigkeit
stoßen und sich schnell in Setzkastenklassifizierung verlieren.
Gleichzeitigkeiten verschiedener "Entwicklungsstufen" und Bauformen
etwa durch regionale Retardierungen usw. stehen hier letztlich einer
stringenten Entwicklungsgeschichte und Feinperiodisierung entgegen.
Beziehungslinien und Abhängigkeiten aber zwischen einzelnen Bauten
(auch über den deutschsprachigen Bereich hinaus), ihren Auftraggebern
und Künstlern, wie sie sehr wohl bestanden haben und essentiell Impuls
gebend waren, werden so gerade nicht ersichtlich. Die Auflösung des
Einzelobjekts in der Beschreibung zugunsten einer übergeordneten
Entwicklungslinie kann daher aus heutiger Sicht nicht mehr
uneingeschränkt überzeugen. In der Wahl eines dominant
entwicklungstypologischen Ansatzes ist Lehmanns Werk somit am
stärksten seiner Entstehungszeit verhaftet und damit selbst schon
historisch geworden. In diesem Sinne steht Lehmanns Werk über die
deutschen Klosterbibliotheken gleichsam auch am Ende einer
methodischen Entwicklungslinie, die mit Hegels Kunstauffassung ihren
Ausgang nahm und hier Endpunkt und Grenzen erreicht hat.[4]
Doch all diesen einschränkenden Bemerkungen zum Trotz: was an
grundlegendem Wert dieser Darstellung der Bibliotheksräume der
deutschen Klöster in der Zeit des Barock auch heute noch bleibt, ist
mehr als genug. Die Fülle des Materials, seine katalogartige Bündelung
und umfangreiche Erschließung vor allem im zweiten Teil machen die
Publikation von Edgar Lehmann auch so zu einem erstrangigen
Informationsmittel zur barocken Bibliotheksarchitektur.
Angela Karasch
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