Der Beschreibung der Einzelbauwerke im Ortsalphabet gehen in Vorwort
und Einleitung knappe Bemerkungen zu einer Typologie der
Bismarck-Memoriale voraus: Unterschieden werden
Bismarck-Aussichtstürme (begehbare Türme mit einer Aussichtsplattform)
und Bismarck-Feuersäulen (begehbare Türme mit einer Feuerstätte als
Bekrönung) als die beiden wichtigsten Typen von Bismarck-Turmbauten;
daneben gibt es noch Bismarck-Denkmäler in Form einfacher Säulen oder
Obelisken oder als figürliche Standbilder und Büsten, die aber für die
Bestandsaufnahme nicht berücksichtigt wurden. Träger dieser
insbesondere nach Bismarcks Tod geradezu flächendeckend
voranschreitenden Bismarck-Turmparade war das Bürgertum: die
Bismarcksche Reichsgründung von 1871 hatte ihm den Reichskanzler schon
zu Lebzeiten zu einer nationalen Kultfigur werden lassen, zur
Personifizierung der Bildung eines deutschen Nationalstaats und nach
seinem Tod zum "Hüter des Reiches" (S. 7). Ikonographisch wie
bautypologisch knüpfen die Turmbauten daher an mittelalterliche
Wehrtürme und Bergfriede an: sie sollten den neuen deutschen
Nationalstaat symbolisch "bewachen" und zugleich seinen Gründer ehren.
Zahlreiche Bismarck-Vereine wurden gegründet und regten allerorts die
Errichtung von Bismarck-Türmen an; eine besondere Rolle kam dabei auch
einem Aufruf der Deutschen Studentenschaft von 1898 zu, der den Bau
von Bismarck-Feuersäulen propagierte und 1899 zur Ausschreibung eines
Wettbewerbs führte. Siegreicher Preisträger war Wilhelm Kreis (1873
- 1955) mit seinem Modell "Götterdämmerung" - eine programmatische
Namenswahl, die aus heutiger Sicht geradezu doppelsinnig gelesen
werden mag. Preise erhielt Kreis auch für die weiteren Entwürfe
"Wotan" und "Eroica". Bei anderen Ausschreibungen für diese Bauaufgabe
klassierte sich Kreis ebenfalls besonders, so etwa mit seinem Modell
"Adlerhorst II" im Wettbewerb für ein Bismarck-Denkmal der Provinz
Pommern usw. Bauhistorisch besondere Bedeutung kommt aber vor allem
dem genannten Entwurf "Götterdämmerung" zu, denn er war ausdrücklich
nicht nur für ein einzelnes, also bestimmtes Denkmal gedacht, sondern
als Modell, gleichsam als Typenvorgabe für die flächendeckende
Produktion an Bismarck-Säulen, ein schönes Beispiel für (politische)
Denkmale in Serie. Das Bestandsverzeichnis weist mindestens 47
Realisierungen dieses Modells (mit Variationen in Breite, Höhe,
Proportionen etc.) auf, so u.a. Ausführungen in den Städten Erfurt,
Greifswald, Halle, Heidelberg, Hildesheim, Stuttgart,[1] Würzburg usw.
Sieht man nun den Typ Bismarck-(Feuer)säule einmal in Relation zum
Gesamtbestand an Bismarck-Türmen, so wird ersichtlich, in welchem
Ausmaß sich die Realisierung dieses Bautyps reduziert auf Variationen
eines einzigen Modells, nämlich dem der "Götterdämmerung" von Wilhelm
Kreis; und auch für die anderen Ausprägungen von Bismarck-Türmen wird
anhand der Gesamtbestandsaufnahme erkennbar, daß hier hauptsächlich
eine Orientierung an wenigen weiteren Modellen erfolgte: sehr beliebt
und mehrfach variiert war beispielsweise eine Formgebung des Denkmals
in Anlehnung an das Theoderich-Grab in Ravenna. Doch Aspekte wie die
von Modell und Serie, von politischer Denkmalsetzung und
"Massenproduktion", von Kunst und Politik ausgehend vom konkreten
Beispiel der Bismarck-Turmbauten, von Formen und
Funktion(alisierung)en politischen Erinnerns usw. werden von den
Autoren nicht ausführlicher thematisiert. Im Zentrum ihrer Publikation
steht der reine Bestandsnachweis; aber gerade in dieser Zusammenschau,
in dieser Bündelung des Phänomens in einer Bestandserfassung und
umfassender Bilddokumentation wird diese Thematik auch unthematisiert
im Wortsinn augenfällig. Und in dieser konkreten und visuellen
Vorführung des Massenprodukts Bismarck-Turm sehen wir die vorrangige
Nützlichkeit einer solchen Zusammenstellung. Zugleich dient sie als
Materialsammlung für alle, die sich weiterführenden und generelleren
Fragestellungen widmen als praktische Basis.
Ein Anhang mit tabellarischer Übersicht aller errichteten
Bismarck-Türme und -Säulen (mit den Rubriken Ort, Land, Standort,
Einweihungsjahr, heutiger Zustand), eine Chronologie aller
Bismarck-Turmbauten, eine Übersicht nach (Bundes-)Ländern und
schließlich eine Tabelle der geplanten, aber nicht ausgeführten
Bismarck-Turmbauten runden das kleine Spezialinventar ab.
Etwas umfassender und sorgfältiger hätte man sich allerdings das
Literaturverzeichnis gewünscht; es beschränkt sich überwiegend auf den
Nachweis kleinerer Beiträge zu einzelnen Bismarck-Turmbauten. Man
vermißt dagegen insbesondere die Abrundung der Gesamtproblematik durch
Literaturhinweise auf wissenschaftlichem Niveau.[2] Auch zu Wilhelm
Kreis, dem für die Gestaltung vieler Bismarck-Turmbauten wirklich
maßgeblichen Architekten, hätten durchaus Literaturhinweise erwartet
werden dürfen.[3] Überflüssig ist dagegen in einer schon zentrale
Aspekte vernachlässigenden Bibliographie die Angabe eines Titels von
1971 zur Architektur der Förder- und Wassertürme, und falsch dazu, da
die Autoren dieses Werks nicht Becker heißen, sondern Bern(har)d und
Hiller Becher.
Angela Karasch
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