Der um die Altertumswissenschaften höchst verdiente Verlag Teubner legt nach fast einem Jahrhundert eine vollständige Neufassung der Einleitung vor. Wie sollte überraschen, daß sich das neue Werk von dem seinerzeitigen erheblich unterscheidet. Allenthalben waren die Autoren der ersten Ausgabe darauf bedacht, die Darstellung der griechischen und römischen Verhältnisse möglichst eng aufeinander zu beziehen, also ein Bild des klassischen Altertums zu vermitteln.
Nunmehr ist das leitende Prinzip, die griechische und die lateinische
Philologie als in sich selbständige Einheiten unabhängig voneinander
zu gestalten. (Freilich kann sich der gegenläufige Ansatz, wie ihn
etwa Albrecht Dihle[2] gewählt hat, auf die Tatsache berufen, daß
während der römischen Kaiserzeit die Gebildeten zweisprachig gewesen
waren.) In der Entscheidung, die für die Einleitung getroffen worden
ist, spiegelt sich nicht nur der schulpolitisch bedingte Wandel, daß
es allen Ikonoklasten zum Trotz nicht gelungen ist, den lateinischen
Unterricht ebenso drastisch zu reduzieren wie den griechischen, so daß
heute Latinistik überwiegend ohne die Kombination mit dem Fach
Gräzistik studiert wird, sondern ebenso die von der Forschung selbst
vorangetriebene Verselbständigung der beiden Teildisziplinen und ihre
Ausweitung.
Die Erweiterung des Gegenstandes zeigt sich in dem Band zur
lateinischen Philologie u.a. an folgendem: der Berücksichtigung der
Geschichte des Faches einschließlich des bildungsgeschichtlichen
Kontextes; der gründlichen Behandlung der Geschichte der Texte und
ihrer Zeugen (Textkritik und Editorik nebst Schrift- und Buchwesen und
Epigraphik), dem Umfang des Kapitels zur Geschichte der lateinischen
Sprache; ferner an der selbstverständlichen Ausdehnung der
Literaturgeschichte auf mittellateinische und neuzeitliche Texte (es
handelt sich eben nicht um eine Geschichte der römischen, sondern der
lateinischen Literatur).
Wie stark andererseits - bei aller Spezialisierung - die Verbindung
der beiden altphilologischen Disziplinen mit den Nachbardisziplinen
während der letzten hundert Jahre bestehen geblieben ist, ja noch
zugenommen hat, erweist sich allein daran, daß mehr als die Hälfte des
Bandes Einführungen in die römische Geschichte, das römische
Privatrecht, die römische Philosophie, die römische Religion (die in
zwei Abschnitte zur republikanischen und zur Kaiserzeit sowie einen
zum Christentum untergliedert ist) und in die römische Archäologie und
Kunstgeschichte gewidmet sind (einschließlich der Numismatik, die hier
nicht dem Kapitel zur Geschichte, sondern zur Archäologie zugeschlagen
ist). Daß jede ihrer Teildisziplinen zugleich autonom und
Hilfswissenschaft jeder anderen ist, macht nach wie vor den
integrativen Charakter der klassischen Altertumswissenschaft aus. Zu
Recht sind daher die fachlichen Grenzen weit gezogen, so daß diese
Einleitung z.B. auch einen Abschnitt zur provinzialrömischen
Archäologie bietet. Freilich: die Stücktitel der Bände verraten nur
einen Teil des inhaltlichen Reichtums.
Die bibliographischen Angaben sind auf dem allerneuesten Stand (auch
Titel von 1997 sind noch berücksichtigt). Sie folgen den eingefahrenen
Standards der altertumswissenschaftlichen Bibliographie, nicht den
letzten Quisquilienpostulaten der Bibliothekare. Die den einzelnen
Abschnitten nachgestellten Bibliographien stehen allerdings unter
einer etwas unglücklichen Überschrift: Es handelt sich nämlich um
zugleich grundlegende und ergänzende Bibliographien, weil zahlreiche
wichtige im Text der Darstellung selbst bereits mitgeteilte Titel hier
jeweils nicht wiederholt werden.
Die Neuausgabe der Einleitung gehört zu den großen Werken, an denen
sich die Lebendigkeit der Klassischen Philologie aufs schönste
erweist. Freilich darf man wegen ihres kompendienhaften Charakters
nichts Unbilliges von ihr erwarten, vor allem keinen zu hohen Grad an
Detaillierung. Was etwa die Literaturgeschichte betrifft, muß schon
der Anfängerstudent Michael von Albrechts so stupend gelehrte wie
anschaulich geschriebene Geschichte der römischen Literatur[3] ständig
zur Hand haben, während der Fachmann nicht ohne das - freilich nur
schleppend vorankommende - neue Handbuch der lateinischen Literatur
der Antike[4] auskommt.
Hans-Albrecht Koch
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