Im Hause von Carl Heymanns Verlag war jedoch schon immer alles ein
bißchen anders. Noch nie hat man es dort für nötig gefunden, eine
ausführliche Verlagsgeschichte zu veröffentlichen. Eine gedrängte
Übersicht über die Entwicklung der Firma erschien ohne Angabe des
Verfassers, Niels Reuter, in der Festschrift zu ihrem 150. Jubiläum
1965.[2] Carl Heymann hatte 1815 in Glogau eine Leihbibliothek mit
Antiquariat gegründet, und wenige Jahre später versuchte er sich - wie
viele Buchhändler im 19. Jahrhundert - als Verleger mit zunächst
universalen Interessen. Nach seinem Tod 1862 wechselte der Verlag
mehrfach seinen Besitzer, ohne jedoch jemals die Firmierung zu ändern.
Das Fehlen einer sie stützenden Familientradition mag dazu beigetragen
haben, daß man die Verlagsgeschichte eher beiläufig zur Kenntnis
genommen hat. Auch im Almanach des Verlages Heymann, der von 1961
(1960) bis 1977 (1976) erschien, glaubte man - sogar im zu spät
(Dezember 1966) angezeigten Jubiläumsjahr -, auf Beiträge zur
Firmengeschichte ganz verzichten zu können.
Positiv ist jedoch anzumerken, daß die Bibliographien dieses
renommierten juristischen Verlages auf eine erstaunlich lange Reihe
von Vorgängern zurückgreifen können. Ein Katalog der Buchhandlung Carl
Heymanns Verlag 1815 - 1896 war schon 1897 am damaligen Verlagsort
Berlin erschienen.[3] Weitere Verlagsverzeichnisse folgten in der Zeit
zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Nach 1945 begann eine
bemerkenswerte Reihe von Bibliographien unter dem wenig attraktiven
Hauptsachtitel Verzeichnis der Veröffentlichungen. Die erste ihrer Art
war eine Broschur im Umfang von 159 Seiten mit der Berichtszeit
1945/58. Sie war eingeteilt in Verlagsgruppen (das sind die vom Verlag
gepflegten Sachgruppen), Stichwortregister, Alphabetisches
Verzeichnis, und Zeitschriften und Entscheidungssammlungen. Es folgten
kumulierende Verzeichnisse mit den Berichtszeiträumen 1945/60,
1945/68, 1945/71, 1945/74, 1945/78, 1945/82, 1945/86 und 1945/91.
Die im vergangenen Jahr vorgelegte, äußerlich sehr imposante
Kumulation 1945/96 muß sich schon aufgrund ihrer langen Vorgeschichte
einige kritische Fragen gefallen lassen. Die entschieden zu kurz
geratene Vorbemerkung enthält in fünfzehn Sätzen einige
Absichtserklärungen, die der Überprüfung nicht immer standhalten. Über
den Umfang und die geplante Erscheinungsweise ist zu erfahren: "Dieses
Verzeichnis dokumentiert alle im Carl Heymanns Verlag erschienenen
Bücher, Entscheidungssammlungen, Elektronischen Publikationen und
Zeitschriften für den Zeitraum von 1945 bis 1996. Es wird
kontinuierlich fortgeschrieben und in fünfjährigem Abstand
veröffentlicht." So weit, so gut; man versteht, was gemeint ist. Dann
werden die einzelnen Teile des Verzeichnisses und die in ihnen
herrschende Ordnung vorgestellt: "In Teil I sind die Werke nach
Sachgruppen und innerhalb der Sachgruppen nach den Namen der Verfasser
alphabetisch geordnet. Bei mehreren Werken des selben [vielmehr:
desselben] Verfassers [,] und dort [,] wo Verfassernamen fehlen,
erfolgt die Auflistung alphabetisch nach dem Werktitel. Festschriften
werden hingegen entsprechend dem Namen des Widmungsadressaten
eingeordnet." Daß wir es hier nicht mit einer bibliothekarischen
Terminologie zu tun haben, soll nicht zum Gegenstand der Kritik
gemacht werden. Und daß mehrere Monographien eines Verfassers ihre
weitere Einordnung nach dem Alphabet ihrer Hauptsachtitel finden
sollen, wird gewiß unsere Zustimmung erhalten. Auch die Gliederung
nach Sachgruppen, die offensichtlich anhand des zu verzeichnenden
Titelmaterials vorgenommen wurde, erscheint angemessen. Ob es wirklich
nötig ist, innerhalb der 25 teilweise noch untergliederten Sachgruppen
auch Formalgruppen wie Festschriften oder Fachwörterbücher
aufzunehmen, mag dahingestellt sein. Was ist jedoch im Sinne des
Verlages ein "Verfasser", ein "Werktitel", eine Schrift, der
"Verfassernamen fehlen"?
Der erste Augenschein beim Durchblättern des dickleibigen
Verzeichnisses erweist schon, daß wir es hier eher mit einem
Verlagskatalog zu tun haben als mit einer Bibliographie. Durch den
Druck hervorgehoben (fett) sind ausschließlich die Hauptsachtitel
("Werktitel"), auch wenn die Einordnung unter dem Familiennamen des
(ersten) Verfassers erfolgt. Darüber hinaus sind die "Verfasser" nicht
immer die Verfasser, sondern oft genug auch sonstige beteiligte
Personen. Die in Verlagskatalogen häufig dokumentierte Manie, für die
alphabetische Ordnung möglichst einen oder auch mehrere Personennamen
zu finden, hat sich auch hier wieder durchgesetzt. Zudem hat man sich
anscheinend immer der Vorlageform von der Haupttitelseite bedient, so
daß man einem bunten Durcheinander von Familiennamen ohne Vornamen,
mit abgekürzten Vornamen, mit ausgeschriebenen Vornamen und wahlweise
auch mit sämtlichen akademischen Titeln begegnet. Erfolgt der
Haupteintrag unter einem Herausgeber oder einem Begründer, wird vom
Hauptsachtitel nicht verwiesen, und er wird auch nicht in die Register
aufgenommen. Festschriften sind unter dem Namen des Gefeierten
eingeordnet, jedoch erst nach allen anderen Schriften, an denen er als
Autor oder Herausgeber beteiligt ist. Der Name wird jedoch nicht
einmal als Ordnungswort ausgeworfen; erscheint er dann auch nicht im
fett gedruckten Hauptsachtitel, ist der Zusammenhang zunächst unklar.
Jedenfalls hat man hier ausnahmsweise auf die Einordnung unter dem
Herausgeber verzichtet. Als Schriften, denen "Verfassernamen fehlen",
stellen sich solche von körperschaftlichen Urhebern heraus.
"Herausgegeben von der FIW", heißt es da z.B. bei einem Eintrag unter
dem Sachtitel, und es ist zufällig kein persönlicher Verfasser oder
sonstiger Beteiligter greifbar. In den Registern findet man weder FIW
noch das damit gemeinte Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung
und Wettbewerb e. V. Einzelne Titel sind in mehreren Sachgruppen
verzeichnet. Da dieses Verzeichnis keine Verweisungen kennt, wird
dadurch naturgemäß - ob nun gewollt oder unabsichtlich - der Eindruck
einer weit umfangreicheren Verlagsproduktion erweckt, als sie
tatsächlich zu verzeichnen ist.
Doch weiter im Text der Vorbemerkung: "Teil II enthält alle Titel in
alphabetischer Reihenfolge, wobei grundsätzlich ebenfalls die
Verfassernamen maßgeblich sind und hinsichtlich der Ausnahmen die oben
mitgeteilten Regeln gelten." Auch hier haben wir also wieder die
Verwendung möglichst vieler persönlicher (erstgenannter) "Verfasser"
bei der Einordnung; aufgeführt werden bis zu einem halben Dutzend,
durch Schrägstriche getrennt. Bei der Einordnung von
Sachtitelschriften wird der bestimmte Artikel übergangen, wenngleich
auch er fett gedruckt ist. Zur weiteren Gliederung des Verzeichnisses
heißt es: "Es folgen in Teil III die Schriftenreihen, in Teil IV die
Entscheidungssammlungen, in Teil V die Elektronischen Publikationen,
in Teil VI die Reihe Ratgeber Recht, in Teil VII die Publikationen der
Europäischen Gemeinschaften, in Teil VIII die Veröffentlichungen der
Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), in Teil IX die
Zeitschriften, in Teil X das Autorenverzeichnis und in Teil XI das
Schlag- und Stichwortregister." Und dann wird noch angefügt: "Ältere
Titel, die nicht mehr lieferbar sind, können im Verlagsarchiv
eingesehen werden." Dieser letzte Satz macht vollends deutlich, wie
wenig man im Hause von Carl Heymanns Verlag mit der Welt der
Bibliotheken vertraut ist. Es ist kaum vorstellbar, daß ein Jurist,
der für dringend benötigte ältere und auch neuere Fachliteratur die
nächstgelegene wissenschaftliche Bibliothek aufsucht, als Alternative
einen Besuch im Kölner Verlagsarchiv erwägt. Zudem läßt sich aus dem
Verzeichnis nicht erkennen, welche Bücher vergriffen sind, da selbst
für Kleinschriften aus den ersten Nachkriegsjahren Preise angegeben
sind (in DM / ÖS / SFr!). Daß davon unabhängige Suchstrategien
umfangreicherer Recherchen nur äußerst selten den Verlag
berücksichtigen, muß nicht betont werden. Einer von mehreren weiteren
Punkten bibliothekarischer Kritik muß die Aufführung von Reihen
innerhalb des Verzeichnisses nach Sachgruppen sein, da sie im Teil III
Schriftenreihen auch schon mit vollständigen Titelaufnahmen vertreten
sind.
Wer nun glaubt, mit der beiliegenden CD-ROM seien ja alle Einwände so
gut wie erledigt, macht es sich zu leicht. Eine Bibliographie als
Textdatei ist eine angenehme Sache; alle Wörter, Zahlen und Symbole
sind abfragbar. Das beste, was man über sie sagen kann, ist, daß sie
das gedruckte Verzeichnis überflüssig macht. Die Datei Folio Bound
VIEWS enthält die Teile I und III bis IX. Der Umgang über das Register
und die Schaltflächen ist auch für den wenig Geübten schnell
erlernbar. Wenn man jedoch über den Suchbegriff Änderung drei Titel
angezeigt bekommt und glaubt, das sei's gewesen, ist man auf dem
- vermeidbaren? - Holzweg. Weitere 13 Eintragungen findet man - aber
wer kommt schon auf solche Gedankenspiele - unter -nderung.
Diese Verlagsbibliographie ist ein schöner Leistungsnachweis für die
Leitung des Unternehmens und ihre Freunde. Für Bibliothekare ist sie
schon von der Anlage und der typographischen Gestaltung her weniger
befriedigend. Dafür wird sie kostenlos abgegeben.[4] Hinter dieser
Verlagsbibliographie steht, wie aus dem vorstehend Ausgeführten
hervorgeht, eine ganz andere "Philosophie", letztlich also eine
verschiedene Einstellung zur eigenen Geschichte, so daß die Empfehlung
an die Verantwortlichen, den einleitend genannten historischen Katalog
des Springer-Verlags gründlich zu studieren, keine Wirkung haben
dürfte.
Rainer Fürst
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