Aber wo man auch bei in der Neuvermarktung Stehengebliebenen
hingreift, vor unangenehmen Überraschungen ist man nirgendwo sicher:
Unter den (immer in knappster Form mit Initiale und Jahr) gebotenen
Literaturangaben fehlen bei Ovid z.B. ausgerechnet die Übersetzungen
der Amores und der Metamorphosen von Michael von Albrecht, die derzeit
den besten Zugang zum Werk des Römers vermitteln.[2] Ein Blick auf die
Titelangaben zu Platon: die alte Monographie von Ulrich von
Wilamowitz-Moellendorff wird angeführt; natürlich Karl Poppers Angriff
auf Platon als Befürworter des politischen Totalitarismus, aber nach
einem Hinweis auf die Arbeiten Konrad Gaisers oder Hans Joachim
Krämers zur ungeschriebenen Lehre Platons sucht man vergebens. Sollen
sie doch eine Revolution des Platon-Bildes ausgelöst haben - wozu das
einem Benutzer mitteilen? Hier wie so oft wird die Dürftigkeit der
Textinformationen durch Bilder kaschiert, diesmal durch einen
Ausschnitt aus Raffaels "Schule von Athen".
Zuweilen bekommen wir fiktive bibliographische Hinweise, etwa auf
angeblich 1972 erschienene Sapphostudien von Wolfgang Schadewaldt,
dessen bereits 1950 erschienenes Sappho-Buch[3] freilich nicht erwähnt
wird.
Noch ein Blick auf die antike Literatur: Da erfahren wir, daß die
Übersetzung der Odyssee durch den eben erwähnten Altphilologen
Schadewaldt 1958 unter dem Titel Odyssee erschienen ist. Ja, wie denn
sonst? Doch im 20. Jahrhundert nicht mehr in der deutschen Version von
Johann Heinrich Voß als Odüssee. Mitgeteilt wird aber nicht, daß es
sich bei dieser vor 40 Jahren herausgekommenen Übersetzung um die
erste vollständige Prosaübersetzung handelt. Unterschlagen wird die
hexametrische Übersetzung von Roland Hampe, die nicht weniger
bedeutsam ist als seine im entsprechenden Werkartikel verzeichnete
deutsche Ilias-Übertragung. Beide sind Meilensteine auf dem Weg zu
einem deutschem Homer gewesen: Hat doch der im Anschauen der Sachen
geübte Archäologe Hampe mit manchen fehlerhaften Sprachbildern
aufgeräumt, so z.B. Homers "geflügelte Worte" endlich als das
wiedergegeben, was sie waren: "gefiederte Worte" nämlich, die
pfeilgleich fliegen, und hat Hampe doch mit seiner Arbeit die These
seines Vorgängers Schadewaldt widerlegt, Homer in deutsche Hexameter
zu übersetzen, sei schlechterdings unmöglich, weil der deutsche Vers
mit dem Gedanken regelmäßig zum Ende komme, ehe die Zahl der Versfüße
erreicht sei, wogegen man sich nur mit ärgerlichen Füllwörtern in Art
von Vossens "traun, fürwahr" behelfen könne.
Zu anderem: Wäre die kommentierte Edition von Goethes Faust durch
Albrecht Schöne in der Frankfurter Goethe-Ausgabe des Deutschen
Klassiker-Verlags nicht Grund genug gewesen, die Bibliographie zu
diesem Artikel wenigstens um einen Titel zu aktualisieren, der nach
1984 erschienen ist? Der österreichische Gegenwartsautor Christoph
Ransmayr hat, nach der Harenbergschen "Aktualisierung" zu schließen,
zuletzt den in alle großen Sprachen übersetzten Roman Die letzte Welt
geschrieben; sein jüngster Roman Morbus Kitahara, der in der Kritik
immerhin eine heftige Auseinandersetzung um die Zulässigkeit von
Vergangenheitsbewältigung im Medium schöner Sprache ausgelöst hat, ist
nicht zu finden; von dem Dutzend Literaturpreise, die dieser Autor
erhalten hat, ist einzig derjenige der Bayerischen Akademie der
Schönen Künste erwähnt, nicht z.B. der Aristeion-Preis, der ihm
gemeinsam mit Salman Rushdie 1997 verliehen wurde. So oder ähnlich
ließe sich seitenlang fortfahren, und zwar beliebig: Bei Stefan Zweig
fehlt die Standard-Biographie von Donald Prater; weder zu Dante noch
zur Göttlichen Komödie wird die bis heute lesbarste deutsche
Übersetzung von Karl Vossler angeführt noch die wegen ihres Kommentars
unentbehrliche von Hermann Gmelin.
Im allgemeinen hätte für eine Aktualisierung schon der kritische
Abgleich der hier noch einmal veröffentlichten Artikel mit dem Text
solider gearbeiteter Literaturlexika genügt. Aber dazu hat es wohl an
der Zeit gefehlt - wie seinerzeit, als die fünfbändige Erstausgabe den
Wettlauf mit Walther Killys Literaturlexikon durch viele bunte
Bildchen, chronologische Tabellen und ähnlichen Schnickschnack
gewinnen sollte. Daß es sich bei dem von Matthias Claudius redigierten
Wandsbecker Bothen nicht um eine "Lokalzeitschrift" gehandelt hat,
sondern um eine ganz normale Zeitung, die sich von anderen nur durch
die verständig und kennerhaft aufgemachte "Feuilletonseite"
unterschied, hat der Herausgeber der Faksimile-Edition des Wandsbecker
Bothen bereits 1989 anläßlich einer Zeitungsbesprechung der
fünfbändigen Ausgabe moniert. Aber wo käme man beim vielen
Aktualisieren auch hin, wenn man solche Korrekturen aus der Kritik
berücksichtigen wollte? Da bleibe ja gar keine Zeit mehr für Marketing
und Verkauf. Man sollte daher auch gar nicht erst wünschen, daß der
Ausdruck "Kommödie" (Etymologie von "Kommode"?) im Eintrag zu
Aristophanes korrigiert werden möge, sondern darauf hoffen, daß die
einbändige Ausgabe ganz schnell dort landet, wo auch schon die
fünfbändige ihr Ende gefunden hat: auf möglichst vielen Ramschtischen,
damit dieses Skandalon bald ausverkauft ist und keinen weiteren
Schaden mehr anrichten kann. Bibliotheken können durch ihre
Entscheidung gegen den Ankauf dabei mithelfen.
Hans-Albrecht Koch
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