Im Falle des jetzt neu vorliegenden Bandes geschieht dies durch ca. 365 Artikel aus dem Bereich der französischsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts, wobei mit etwa 280 Einträgen der eindeutige Schwerpunkt auf den Personenartikeln liegt. Unter ihnen finden sich selbstverständlich in erster Linie die Literaten des 19. Jahrhunderts, und zwar nicht allein die großen und noch heute bekannten wie Balzac (S. 29 - 54), Flaubert (S. 237 - 253) oder Hugo (S. 313 - 340), deren Werk in umfassenden, teilweise von mehreren Spezialisten verfaßten Artikeln vorgestellt wird, sondern auch heute weitgehend vergessene Namen wie Alphonse Karr, Albert Mockel oder Léon Valade. Zur Vervollständigung des Bildes wurden ferner die "maîtres de la paralittérature" wie Paul de Kock oder Gaston Leroux, die "philosophes, érudits savants ou économistes dont le rôle fut capital" wie Lanson oder Tocqueville sowie die "artistes qui accompagnèrent ou inspirèrent les écrivains" wie Daumier oder Doré mit teils kurzen, teils auch längeren Artikeln bedacht.
Die restlichen ungefähr 85 Artikel decken ein breites Spektrum an Bereichen ab, insofern nicht nur den die Literatur des 19. Jahrhunderts in besonderem Maße prägenden Gattungen und Formen wie Mélodrame, Roman-feuilleton oder Vers libre ein Artikel zukommt, sondern zudem zahlreiche Gruppierungen, Strömungen, Institutionen usw., die frankophone Literatur, für das Jahrhundert konstitutive Themen, das Editionswesen, kulturelle Praktiken wie Développement de la lecture oder Mime & pantomime sowie verschiedene, die Geschichte Frankreichs im 19. Jahrhundert bestimmende Ereignisse wie die Dreyfus-Affäre und vieles mehr berücksichtigt wurden.
Selbstverständlich kann und will das Lexikon nicht an jeder Stelle gleich ausführlich sein und differiert folglich die Länge der einzelnen Artikel sehr stark. So stehen neben kürzeren Einträgen zu Begriffen, Personen und Orten, die "une curiosité précise", ein reines, klar umrissenes Informationsbedürfnis befriedigen sollen, umfassende Überblicksartikel, deren Titel, z.B. Artistes et voyants, Crise de l'identité littéraire oder Mages et prophètes, zunächst überraschen mögen, deren Lektüre jedoch den Blick hinter die punktuellen Informationen von Namen und Daten gestattet: In diesen Aufsätzen werden Entwicklungen und Zusammenhänge deutlich, indem beispielsweise die Frage der Ästhetik im 19. Jahrhundert, die nach der Stellung des Künstlers, nach Selbstverständnis und Funktion der Dichter usw. erörtert werden und so tatsächlich der im Vorwort formulierte Anspruch dieser "vastes synthèses" eingelöst wird: Sie gestatten dem Leser, "non pas simplement de connaître mais de comprendre" (S. 5), und bereichern so zusätzlich und entscheidend diese allein durch die Fülle des auf engem Raum gebotenen Materials schon so reiche Darstellung der "littératures de langue française XIXe siècle".
Die für ein einbändiges Lexikon an sich schon erstaunliche Breite wird
noch zusätzlich erweitert durch den detaillierten Index am Ende: Wie
im Dictionnaire des genres et notions littéraires enthält er nicht nur
die auf Artikel verweisenden Stichwörter, sondern führt wesentlich
mehr Namen, Begriffe, Ereignisse usw. auf, dank derer zum einen der
Zugang von ungemein vielen Punkten aus ermöglicht wird und sich manche
Lücken gleichsam von dieser Hintertür aus schließen,[2] zum anderen
Zusammenhänge hergestellt beziehungsweise sichtbar werden, die die
alphabetische Ordnung des Lexikons nicht wiederzugeben vermag, so
etwa, wenn von Décadentisme oder Critique d'art, von Journalisme oder
Histoire, von Monarchie de Juillet oder von Commune de Paris auf die
entsprechenden Namen und Begriffe verwiesen wird. Zudem finden sich
auch in diesem Register Stichwörter, die den Rahmen der "langue
française" und des "XIXe siècle" sprengen, insofern auch Themen wie
Révolution Française, Littérature anglaise oder Théâtre allemand,
Autoren wie Diderot und Gide, James Joyce und Oscar Wilde, Hugo von
Hofmannsthal und Thomas Mann im Index ausgewiesen sind, die einmal
mehr gestatten, Verbindungen herzustellen und Verwandtschaften oder
Gegensätze auszumachen, statt allzu starre Grenzen zu ziehen.
Für weitere Informationen schließen alle längeren Artikel mit zum Teil
sehr ausführlichen bibliographischen Hinweisen, bei Autorenartikeln
gegliedert in Primär- und Sekundärliteratur. Stichproben zufolge
wurden Titel bis etwa 1990 berücksichtigt, darunter gelegentlich auch
unselbständig erschienene Literatur. Eine Zeittafel zum 19.
Jahrhundert ist in dem Band nicht enthalten, doch werden am Ende, vor
dem Index, die Autoren des Jahrhunderts gleich in drei Variationen
aufgelistet: alphabetisch, nach Geburts- und nach Sterbedaten - was
vielleicht nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre, aber dennoch
manchmal verblüffende Nachbarschaften in der Zeit, die berühmte
Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, aufzudecken vermag.
Auch dieses Dictionnaire des littératures de langue française besitzt
folglich geradezu Modellcharakter für das, was in einem einbändigen
Lexikon an Informationsdichte und -breite möglich ist, und kann
uneingeschränkt all jenen empfohlen werden, die sich für die
französische Literatur des 19. Jahrhunderts interessieren und sich
nicht mit einer trockenen Ansammlung von Daten und Fakten begnügen
mögen.
Barbara Kuhn
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