Der Aufbau der einzelnen Abschnitte ist im Prinzip immer gleich: einem einführenden Text mit den notwendigen historischen Rahmendaten und der Beschreibung allgemeiner Tendenzen der Epoche folgen - an Lexika erinnernd - zweispaltig angeordnete Abbildungen bedeutender Kunstwerke der jeweiligen Zeit mit dazugehörigen Erläuterungen. Die Mehrzahl der Bilder, deren Qualität tadellos ist, sind schwarzweiß; ihre abschnittsübergreifende Numerierung endet bei Nummer 396. 28 Farbtafeln sind an verschiedenen Stellen im Buch eingefügt.
Die Einführungen können auf den 7 bis 12 Seiten, die sie umfassen, nur grobe Skizzen über die jeweilige Epoche entwerfen. Es sind lediglich Essays unter Ausschluß gelehrter Diskussionen und mit Beschränkung auf die in der Archäologie als Allgemeingut anzusehenden Grundzüge. Anmerkungen gibt es genausowenig wie Lektüreempfehlungen, dafür sind die Texte ohne fachliches Vorwissen leicht lesbar und gut verständlich. Jedes aufgenommene Bild wird kommentiert, wobei auch hier keine über die Allgemeinbildung hinausgehenden Vorkenntnisse vorausgesetzt werden.
Hinter dieser Struktur und den erwähnten Eigenschaften steckt eine Methode, eine sehr sympathische und begrüßenswerte didaktische Absicht, denn die Beschreibungen führen vor allem in die Technik des "archäologischen Sehens" ein. Völlig zwanglos wird der Betrachter auf spezifische Merkmale aufmerksam gemacht, die beschrieben und (zumeist sehr behutsam) gedeutet werden. Wer sein Wissen über antike Kunst aus diesem Buch bezieht, lernt viel aus eigener Betrachtung und kann so nicht nur schon Gelesenes einfach "nacherzählen", sondern das eigene Stilempfinden testen und - unter fachkundiger Anleitung - ausprobieren, was und wie man in der antiken Kunst entdecken und entschlüsseln kann. Erkenntnisse werden tatsächlich anschaulich gewonnen und nicht nur theoretisch vermittelt. Das ist das Geheimnis dieses Buches und macht seinen Reiz aus. In der Archäologie hängt viel vom Anschauen und Vergleichen ab. Der Benutzer wird hier genau dazu ermuntert und wird Erfolgserlebnisse haben. Was will man von einer Einführung mehr erwarten?!
Diese sehr angenehme Eigenart des Handbuches schließt damit freilich andere Benutzungsmöglichkeiten nahezu aus. Hier ist Information über einzelne Kunstwerke und ihre Geschichte, über griechische Vasenmaler oder das römische Porträt nicht für eine schnelle Orientierung aufbereitet und wie im Fachwörterbuch konzentriert zusammengefaßt. Dafür stehen andere Bücher zur Verfügung.
Die Kürze der Beschreibungen und ihr Bemühen, das Erkennen von Wesentlichem abseits jeder detaillierten Spezialforschung zu fördern, muß Fachleute wohl an manchen Stellen auch verwundern, wenn etwa die berühmte Laokoongruppe schlichtweg als großartiges Zeugnis des hellenistischen Hochbarock bezeichnet wird - als gebe es nicht eine jahrzehntelange Diskussion darüber, ob es sich hier um hellenistische oder römische Kunst handelt.
Wir haben es also nicht mit einer stringenten, in sich geschlossenen
Abhandlung zur griechischen und römischen Kunstgeschichte zu tun,[2]
sondern mit einer Einladung an alle, die erfahren und ausprobieren
wollen, was Archäologie, und das heißt hier insbesondere Kunst- und
Stilgeschichte, eigentlich ist. Und ganz nebenbei lernt man auch noch
die Meisterwerke der antiken Kunst kennen. Alles in allem ein in
seiner unprätentiösen Einfachheit absolut professionell konzipiertes
Buch - ein echter Boardman eben.
Joachim Migl
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