Sofern es sich dabei nun um Begebenheiten der klassisch-antiken Welt
handelt, bietet das vorliegende Lexikon antiker Bildmotive
Hilfestellung an. Die Idee ist im Prinzip so einfach wie genial:
Motive dürfen eben nicht nach beteiligten Personen, sondern müssen
nach präzisen, die wiedergegebene Situation genau bezeichnenden
Schlagwörtern geordnet werden. Nach diesem Prinzip verfaßte der 1989
verstorbene Griechisch- und Lateinlehrer Percy Preston sein Dictionary
of pictorial subjects from classical literature,[2] und dieses Buch ist
jetzt um weitere Quellenangaben, Querverweise und einen Anhang von
Stela Bogutovac und dem Übersetzungs- und Herausgebungsroutinier Kai
Brodersen ins Deutsche übertragen worden.
Unter mehr als 400 Begriffen mit teilweise mehreren Unterbegriffen
wurde das Material von Preston in ganz neuer Weise geordnet. Die dem
Verzeichnis vorangestellte, alphabetische Liste der möglichen
Einstiegsbegriffe reicht von Abstimmung (richtig wäre allerdings
Abschied, womit das Lexikon in Wirklichkeit beginnt), bis Zwillinge.
Dazu kommen im Hauptteil zahlreiche Verweisungen auf verwandte oder
untergeordnete Schlagwörter, die auf jeweils geeignete Suchbegriffe
führen. Entscheidend für die Ansetzung im Lexikon waren jeweils
Begriffe für solche Begleitumstände und Situationsmerkmale von
Episoden, die am ehesten als charakteristisch, eben als "typisch" für
die dargestellte Szene gelten können: Je individueller und spezieller
ein "Zubehör" dabei benannt werden kann, desto leichter fällt dann die
Identifizierung. Zusätzliche Unterschlagwörter schaffen dann eine
weitere Differenzierung nach Situationszusammenhängen. Zu Baby etwa
sind diese: Geburt; an der Brust; von einem Tier gestillt oder
gefüttert; von Mutter oder Amme gehalten; gepflegt oder in Pflege
gegeben; in die Obhut eines anderen gegeben; von einem Mann genommen
oder gehalten; Rettung durch Flucht; fallengelassen; niedergelegt oder
versteckt; Aussetzung; ins Feuer gehalten, um unsterblich zu machen;
ins Feuer geworfen oder aus dem Feuer geholt; ins Wasser geworfen oder
gehalten; zu Tode geschleudert; Tötung. Überfliegt man einen Eintrag
von der ersten bis zur letzten Zeile, erhält man folglich eine
thematisch sortierte Materialsammlung, auch dies mag sicherlich
bisweilen hilfreich sein. Griechische Namensformen haben den Vorrang
vor lateinischen. Daß bei der in der Antike geläufigen Bearbeitung von
literarischen Motiven in beiden Sprachen mit den dann jeweils gültigen
Namen (Ares - Mars, Hera - Iuno, usw.) eine Entscheidung notwendig
war, leuchtet auch ein. Eine Namensliste mit griechischen Namen und
ihren lateinischen Entsprechungen am Ende (S. 234) hilft, wenn dieses
Verfahren einmal Irritationen verursachen sollte. Beigefügt sind
übrigens auch ein Verzeichnis der ausgewerteten Literatur, eine
Auflistung der Werkausgaben und weiterführende Literaturhinweise.
Angereichert ist das Buch schließlich mit Abbildungen von Abgüssen aus
der Antikensaalgalerie des Mannheimer Schlosses.
In zwei Punkten ist es vielleicht nicht überflüssig, die Angaben des
Metzler-Verlages zu diesem Buch zu präzisieren: Zunächst einmal
enthält das Buch nicht nur Bildmotive aus der klassischen Mythologie,
sondern durchaus auch Vorkommnisse der Geschichte. Unter Fluß wird
also z.B. Caesars berühmter Übergang des Rubicon erwähnt. Und
schließlich sollte noch einmal betont werden, daß die Basis für die
enthaltenen Episoden ihr Vorkommen in der Literatur ist! Diese
wesentliche Inhaltsdefinition ist im deutschen Titel im Unterschied
zum amerikanischen Original verlorengegangen. Motive, für die es keine
Vorlagen in der erhaltenen antiken Literatur gibt, tauchen deshalb
nicht auf, mögen sie in der bildenden Kunst auch noch so geläufig
sein.
Man wird wohl nicht auf ca. 230 Seiten eine Art Gesamtregister zur
gesamten antiken Ikonographie erwarten, und dieses Buch will auch gar
nicht mehr sein als ein erster Einstieg in eine dann selbständig zu
leistende Vertiefung. Daß die Grenzen des Lexikons sehr schnell
erreicht sein können, wird sofort deutlich, wenn man sich die Unzahl
von nicht-literarisch belegten oder wenig bekannten Motivvariationen
in Erinnerung ruft, wie sie z.B. im LIMC[3] gesammelt und sortiert
wurden. Gerade bei Motiven aus häufig wiederkehrenden Mythen, wie bei
Darstellungen aus der Theseus-Sage oder bei Herakles-Erzählungen gibt
es Variationen und Besonderheiten.[4] Im Lexikon antiker Bildmotive wird
man aber immer nur die wegen ihrer Bindung an literarische Hauptwerke
gängigsten Motive finden, wobei die mögliche und häufige Überlagerung
von Mythentraditionen (gerade bei Ovid, einer der Hauptquelle für das
Lexikon) oder die Kontamination aus verschiedenen Vorlagen, also jede
historische Dimension bei der Ausbildung von Sagen, nicht zuletzt die
Berücksichtigung lokaler Traditionen, zu kurz kommen müssen. Ob der
ausschließlich aus der Lektüre gewonnene Motivextrakt für die
Entschlüsselung von Themen in Malerei und Plastik immer hinreicht, ist
ohnehin ein grundsätzliches Problem und wohl doch eher fraglich.[5] Und
schließlich ist es in vielen Fällen mindestens zweifelhaft, wie sich
so manche aus Texten gefilterte Differenzierung von Motiven in der
darstellenden Kunst bzw. ihrer Betrachtung nachvollziehen lassen soll.
Da wird dann doch deutlich, daß hier ein Philologe am Werk war. Das
alles spricht nicht entscheidend gegen dieses Buch, es begrenzt aber
seinen Wert und sollte bei der Benutzung bedacht werden.
Joachim Migl
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