Für die Denkmal-Auswahl des vorliegenden Bandes orientierte man sich vor allem an den neu erstellten Denkmallisten der einzelnen Länder; Grundlage aber bildete auch die oben genannte Zusammenstellung des Instituts für Denkmalpflege der DDR. Im Ergebnis liegt nun eine für die einzelnen Bundesländer unterschiedlich dichte Denkmalbeschreibung vor, was jedoch, wie etwa für Mecklenburg-Vorpommern, vom Herausgeber vorrangig mit Arbeitsüberlastung der Mitarbeiter begründet wird. Eine sehr knappe Einführung in die Industrialisierungsgeschichte der neuen Bundesländer, die in dieser Raffung fast nur noch Allgemeinplätze verbreitet, ist der im Ortsalphabet präsentierten Denkmalbeschreibung im einzelnen vorangestellt. Als Nachspann wird ein Glossar mit Rissen zu wichtigen Konstruktionsformen einzelner Denkmaltypen geboten, eine Chronologie nach Gattungen, eine Bibliographie, Namens- und Ortsregister sowie eine Kartenübersicht. Obwohl das Spektrum der Industrie- und Technikdenkmäler für den Nachweis recht umfänglich abgedeckt wird, zeigt sich in Darstellungsform und -umfang doch eine leichte Präferenz für die Beschreibung von Bahnanlagen, was den zahlreichen Eisenbahnliebhabern unter den technikinteressierten Laien sicher entgegenkommen dürfte.
Um insgesamt aber Erfassungsqualität und -umfang für die Denkmale
dieses Reclam-Führers besser einschätzen zu können, wurde ein Beispiel
herausgegriffen und dabei der Eintrag Dresden gewählt, da hier auch
andere Quellen und Nachweise von Technikdenkmälern zur Verfügung
stehen, nämlich der bereits 1996 erschienene Dehio-Band für den
Regierungsbezirk Dresden,[4] sowie der ebenfalls 1996 publizierte Band
Bauten der Technik und Industrie - eine Zusammenstellung besonders
gefährdeter Kulturdenkmale Sachsens, für die zu ihrem weiteren Erhalt
Käufer bzw. Investoren gesucht werden - und schließlich der 1997 vom
Deutschen Werkbund Sachsen herausgegebene Bildband zur
Industriearchitektur in Dresden.[5] Natürlich setzen alle diese
Publikationen unterschiedliche Schwerpunkte.
Der Dehio-Band verzeichnet vorrangig Kunstdenkmäler, erfaßt aber hier
im Sinne eines erweiterten Denkmalbegriffs auch Kulturdenkmäler bis
hin zu herausragenden Zeugnissen der Industrie- und Technikgeschichte.
Vergleicht man nun die Dehio-Auswahl an Industrie- und
Technikdenkmälern für Dresden direkt mit dem Reclam-Führer, so läßt
sich feststellen, daß gut zwei Drittel der im Spezialführer
verzeichneten Denkmäler auch in dem umfassenderen Dehio
Berücksichtigung gefunden haben. Eine markantere Schwerpunktbildung
des Reclam-Führers und - hierin über Dehio hinausgehend - ist vor
allem in der Auflistung von Bahnhöfen festzustellen. Andererseits
bietet aber auch der Dehio mehr: da er in der Verzeichnung keinen
zeitlichen Schwerpunkt auf die letzten 150 Jahre setzt, kommen
insbesondere ältere Denkmäler wie etwa aus den Bereichen Verkehr und
Handel zusätzlich stärker in den Blick. Unübersehbarer Vorteil der
Verzeichnung beim Reclam-Führer ist jedoch die Spezialisierung bzw.
Beschränkung auf die Industrie- und Technikdenkmäler. Was im Dehio
- trotz einer Untergliederung der Einträge nach Denkmalgattungen und
somit durch Zusammenfassung in den Rubriken Bauten für Handel und
Wirtschaft und Technische Bauten und Anlagen - in der Menge der
Kunstdenkmälerbeschreibungen zurücktritt, steht bei einem
Spezialführer automatisch im Zentrum der Aufmerksamkeit und liest sich
im Fall des Reclam-Führers mit seiner die einzelnen
Technikdenkmaltypen zusammenfassenden und erzählenden Eintragsweise
fast wie eine rudimentäre Industriegeschichte des Orts. Hinzu kommt
beim Dehio, daß der gesamte Dresden-Eintrag in eine Vielzahl
selbständiger Einträge für die einzelnen Dresdener Stadtteile und
Vororte aufgesplittert ist, so daß auch die Verzeichnung der
Industrie- und Technikdenkmäler des heutigen Dresdener Stadtgebiets
entsprechend verstreut ist und das Fehlen eines Orts- und
Objektregisters für einen schnellen Überblick hier besonders ärgerlich
ist. Geht es aber darum, die Denkmale an Ort und Stelle zu
besichtigen, so liegt der Vorteil der Eintragsanordnung bei Dehio auf
der Hand: hier liegt im engen Sinne des Wortes ein Führer zu den
Denkmälern vor, und in dieser Perspektive einer konkreten
"Denkmalerfahrung" ist nicht nur die Ordnung nach Ortsteilen von
praktischem Wert, sondern auch die umfassende Berücksichtigung aller
Denkmalgattungen von zusätzlichem Nutzen. Mit dem Reclam-Führer läßt
sich ein solcher Weg dagegen nur umständlich erarbeiten; zudem sind
die Lokalisierungsangaben der Objekte oft spartanisch und
unübersichtlich im Text verstreut. Auch die Objektbeschreibung selbst
ist im Dehio präziser, denkmalorientierter und insgesamt informativer;
zumindest für alle wissenschaftlichen Belange ist dieser Verzeichnung
der Vorzug zu geben.
Darüber hinaus zeigen sich im Reclam-Führer für die Industriedenkmäler
im Einzelfall erstaunliche Verzeichnungslücken: Man mag es kaum
glauben, daß die Industriebauten von Richard Riemerschmied in
Dresden-Hellerau (beispielsweise die Fabrik für die Deutschen
Werkstätten für Handwerkskunst) im Reclam-Führer keine
Berücksichtigung finden, zumal Hellerau über das Einzeldenkmal hinaus
in seiner gesamten Stadtkonzeption und ihrer Einbindung auch von
Fabrikanlagen ein herausragendes Ensemble ist; im Dehio-Band werden
sie dagegen selbstverständlich adäquat gewürdigt. Wer sich aber von
den Fabrikanlagen in Hellerau - und nicht nur von diesen, sondern
insgesamt von der Industriearchitektur in Dresden - zusätzlich auch im
konkreten Wortsinn ein Bild machen möchte und wem die konzeptionell
durchweg abbildungslosen Dehio-Bände in dieser Hinsicht nicht
weiterhelfen, dem sei der Band Industriearchitektur in Dresden
empfohlen mit hervorragenden Photographien von Hans-Christian Schink
und ausgezeichneten Begleittexten zur Geschichte und Architektur
ausgewählter Anlagen. Der Reclam-Führer bietet zwar zu einzelnen
Objekten ebenfalls kleinformatige Abbildungen, doch dienen diese mehr
der Auflockerung des Textes und der "Einstimmung" der Leser als der
visuellen Information.
Der Zielgruppe der Investoren und Käufer schließlich präsentiert der
Freistaat Sachsen die zum Kauf oder zur Vermietung vorgesehenen,
besonders gefährdeten Industrie- und Technikdenkmäler des Landes mit
umfangreicher farbphotographischer Dokumentation neben
Textinformationen zur Geschichte und Bedeutung der Anlagen und mit
getrennter Auflistung der wichtigsten technischen und praktischen
Daten (Flächengröße, Verkehrsanbindung, Medienanschlüsse,
Nutzungsmöglichkeiten, Altlasten, Eigentumsverhältnisse, Baujahr,
Gebäudegröße/-zustand, Betriebsanlagen, Ansprechpartner usw.). Daß
eine solche Zusammenstellung, die zugleich aktuelle Bestandsaufnahme
für diese Objekte ist, über die genannte Zielgruppe hinaus von überaus
informativem Wert ist und für manche Fragestellungen sogar fast wie
ein Großinventar genutzt werden kann, dürfte offensichtlich sein.
Kurzes Fazit: Gegen die Konkurrenz sehr nützlicher Publikationen, wie
sie für Dresden vorliegen, kann sich der Reclam-Führer nicht immer
überzeugend behaupten. Seine Nützlichkeit liegt in dem Überblick, den
er für diese spezielle Denkmalgruppe ermöglicht; besonderen Wert
gewinnt er freilich erst dort, wo andere Informationsquellen (noch)
fehlen.
Angela Karasch
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