Im ersten Kapitel wird ein kurzer Abriß der Geschichte des Computers, der Datennetze und der Online-Datenbanken gegeben. Im zweiten Kapitel diskutiert Horvath den Wissenschaftscharakter der Geschichte und wirft dabei die Frage möglicher Veränderungen durch den Einsatz von Computern auf. Im dritten Kapitel skizziert der Autor die Beziehung zwischen Geschichtswissenschaft und dem Computer. Er geht dabei von der Professionalisierung der Geschichte im 19. Jahrhundert aus und zeichnet detailliert die Entwicklung und Anwendung quantitativer Methoden, dabei vor allem in den USA und Frankreich nach und illustriert anhand von Beispielen die computergestützte Forschung aus den Anfangsjahren. Das Kapitel endet mit der Schilderung der Aufnahme computergestützter Methoden in der bundesdeutschen Fachdiskussion. Im vierten Kapitel recherchiert Horvath sehr gründlich und in dieser Dichte zum ersten Mal zusammenhängend die Genese der Fachinformationspolitik in der Bundesrepublik seit Mitte der 60er Jahre unter besonderer Beachtung der Diskussion um eine historische Fachinformation. Bereits zu diesem Zeitpunkt war ein Konzept für ein Informationssystem Geschichte konzipiert worden, das aus einer Projekt-, einer Quellen- und einer Literaturdokumentation bestehen und in Form einer elektronischen Datenbank online zur Verfügung gestellt werden sollte.
Nach diesem historischen Teil folgt im fünften Kapitel eine ausführliche und außerordentlich umfassende Vorstellung der zahlreichen Online-Datenbanken, die für die historische Forschung von Bedeutung sind. Er beginnt mit einem Datenbankverzeichnis bibliographischer Datenbanken, die historische Fachliteratur im engeren Sinn erfassen, stellt im Folgenden Fachbibliographien aus Nachbardisziplinen wie der Altersforschung, der Philosophie, Politik, Sozialwissenschaften, Theologie und Wirtschaftswissenschaften vor und führt abschließend neben den einschlägigen Zeitschrifteninhalts-Datenbanken wie Historical abstracts oder Humanities index auch Volltextdatenbanken wichtiger Zeitungen und Zeitschriften auf. Für viele Historiker weniger bekannt dürften die von Horvath vorgestellten Datenarchive, Textzentren und Textarchive sowie elektronischen Lexika und Statistiksammlungen sein. Abgerundet wird die Übersicht mit einem beschreibenden Überblick über aktuelle Informationsressourcen, die über das Internet verfügbar sind.
Im sechsten Kapitel wendet sich der Autor dem sich verändernden Arbeitsprozeß des Historikers zu, der sich unter dem Gesichtspunkt ständig wachsender Informationsmengen und einer zunehmenden Digitalisierung grundlegend gewandelt hat. Horvath schlüsselt die einzelnen Elemente des Arbeitsprozesses von der Problemstellung über die Erfassung der Sekundärliteratur bis hin zur Niederschrift der Forschungsergebnisse auf und arbeitet heraus, an welchen Punkten der Arbeitsabläufe die neuen digitalen Medien prozeßverändernd wirken werden.
Im siebten Kapitel entwickelt der Autor seinen Plan eines umfassend angelegten historischen Online-Dienstes, dessen Bandbreite von bibliographischen Angaben über Volltext-Forschungsliteratur bis hin zu digitalisierten archivalischen Quellen reicht. Horvath beschreibt in seinem visionären Konzept ein System aus einem Guß, das unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche die heute verstreut über unterschiedlichste Zugänge erreichbaren Informationsressourcen der Geschichtswissenschaft verknüpfen und über einen zentralen Einstiegspunkt verfügbar machen soll. Initiatoren und Träger des Dienstes könnten internationale historische Fachverbände, nationale historische Verbände, Medienunternehmen, Online-Dienste oder Datenproduzenten sein. Als zentrales Problem bei der Realisierung dieser Idee nennt er die Finanzierungsfrage. Notwendig sei eine Anschubfinanzierung. Die Benutzung des von ihm konzipierten Online-Dienstes History Online (HO) würde nicht kostenlos erfolgen, sondern es wären Gebühren zu entrichten. History Online sei nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu führen, das Problem der Finanzierung beträfe damit im wesentlichen das Startkapital. Angesichts der Erfahrungen, die die Geschichtswissenschaft in Deutschland mit der Bildungs- und Fachinformationspolitik gesammelt hat, wäre ein solches Projekt von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn man es ausschließlich von staatlichen Zuwendungen abhängig machen würde. HO müsse sich für den Start um eine unabhängige Mischfinanzierung kümmern, die aus unterschiedlichen Quellen besteht. Neben staatlichen Geldern (in Form von ein- oder mehrmaligen Zuwendungen und bei vollständiger staatlicher Unabhängigkeit) müsse man sich um Gelder von Sponsoren und Stiftungen, historischen Vereinen, Historikern und historisch Interessierten kümmern. Sinnvoll wäre es, Online-Dienste, Datenbankproduzenten und Verlage als Partner für dieses Projekt zu gewinnen. Gerade für die bestehenden Online-Dienste und die Datenproduzenten würde sich dadurch auch ein neuer Markt auftun. Die Produktion von Datenbanken selber könnte außerdem an den Universitäten als Bestandteil von Forschung und Lehre erfolgen. HO könnte international eine Sonderstellung als gemeinnützige Organisation erhalten, die es auch eine enge Anbindung an die Universitäten erlauben würde. Arbeiten, die im Rahmen von Forschung und Lehre erstellt werden, könnten in den Online-Dienst übernommen werden, ohne daß dadurch besondere Kosten entstehen. Durch die Existenz von HO könnten auf preiswerte Art Daten veröffentlicht und damit erhebliche Gelder eingespart werden, die heute für kostspielige, hoch subventionierte Publikationen aufgebracht werden.
Die Attraktivität eines solchen Systems wäre aber keinesfalls auf Historiker beschränkt; neben einer interessierten Öffentlichkeit wäre es auch für Journalisten, Politiker oder Verbandsfunktionäre von Nutzen und hätte damit durchaus einen Markt.
Trotz der sehr ins Detail gehenden Vorschläge Horvaths macht der Autor deutlich, daß die Idee einer Mega-Datenbank History Online zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus den unterschiedlichsten Gründen reine Zukunftsvision ist und momentan keine Chancen einer Realisierung hätte. Das von Horvath sehr faktenreich beschriebene Scheitern des bereits in den 70er Jahren angestrebten Fachinformationssystem Geisteswissenschaften, dem ja eine ähnliche Grundkonzeption auf dem Stand der damaligen Informationstechnik zugrunde lag, läßt erahnen, wie es heute unter ungleich schwierigeren Finanzierungsbedingungen einem nicht hinreichend verankerten neuen Vorstoß in dieser Richtung ergehen würde.
Im achten Kapitel faßt Horvath seine Ergebnisse noch einmal kurz in einigen Thesen zusammen und betont dabei abschließend die Notwendigkeit der Etablierung einer Historischen Fachinformatik als historischer Hilfswissenschaft. Neben einem 34 Seiten umfassenden außerordentlich gründlichen Literaturverzeichnis finden sich im Anhang der Arbeit verschiedene systematische Verzeichnisse von Internet-Adressen für Historiker sowie historisch relevanter Internet-Diskussionslisten und online-verfügbarer Zeitschriftenbestände.
Die Forderung Horvaths nach einer historischen Fachinformatik als
Schnitt- und Transferstelle zwischen Informations- und
Dokumentationswissenschaft, Informatik und der Geschichtswissenschaft
ist nicht neu. Während die großen historischen Zeitschriften sich
dieser Thematik erst vereinzelt seit den letzten zwei bis drei Jahren
annehmen, gibt es bereits seit etwa 15 Jahren eine Reihe kleinerer
spezialisierter Fachzeitschriften[1] in diesem Bereich, die ausführlich
die Entwicklung der Probleme des EDV-Einsatzes und der Anwendung
quantitativer Methoden in der Geschichtswissenschaft behandeln.
Insgesamt stellt sich die Frage, ob der EDV-Einsatz in der
Geschichtswissenschaft als neues Element in den Kanon der historischen
Hilfswissenschaften aufgenommen werden sollte. Die Frage der
Berechtigung bzw. des Bedarfs einer historischen Fachinformatik ist
eng mit der Frage der Wissenschaftlichkeit von
Geschichts"wissenschaft" an sich verbunden. Heimpel[2] und später auch
Thaller[3] definierten als wesentliche Grundlage der
Geschichtswissenschaft den Anspruch, alle Aussagen über die
Vergangenheit so detailliert und diszipliniert auf erhaltene Quellen
zu gründen, daß diese Aussagen (intersubjektiv) nachprüfbar bleiben.
Ohne EDV sind heute komplexe Recherchen und Auswertungen an großen
Quellenbeständen gar nicht mehr leistbar. Die Zurechnung der
elektronischen Datenverarbeitung als Hilfsmittel und Werkzeug der
Geschichtswissenschaft zu den historischen Hilfswissenschaften
erfolgte parallel zum Aufblühen der quantifizierenden Forschung in den
60er Jahren zunächst sehr automatisch und ohne weiteren
Diskussionsbedarf wegen der anfänglichen Marginalität der neuen
Methoden. Mit dem enormen Anwachsen der Zahl der EDV-gestützten
Anwendungen in der Geschichtswissenschaft und den damit immer
komplexer bzw. spezieller werdenden Detailproblemen ist es notwendig
geworden, eine historische Fachinformatik als eigenstände Subdisziplin
innerhalb der historischen Hilfswissenschaften dauerhaft zu
implementieren.
EDV-Anwendungen in der Geschichtswissenschaft sind inzwischen zur
Selbstverständlichkeit geworden und gehen in ihrer Erscheinungs- und
Anwendungsvielfalt weit darüber hinaus, ein bloßes Anhängsel der
Quantifizierung zu sein. Die historische Fachinformatik hat sich auf
der Grundlage eines informationswissenschaftlichen Ansatzes[4] heute
sehr weitgefächert entwickelt und reicht von "klassischen"
quantitativen Anwendungen über fortgeschrittene editorische Projekte
weit in die historische Geographie und die kombinierte
Text-Bildverarbeitung hinein. Insbesondere in der digitalen
Bildverarbeitung gibt es z. Zt. eine Reihe höchst interessanter
Projekte, bei denen an den Problemen der Beschreibung, Digitalisierung
und Manipulation bzw. Bearbeitung von Urkunden und ihren Abbildungen
gearbeitet wird.[5] Wohin sich die historische Fachinformatik entwickeln
wird - ob z.B. zu einem Berufsbild "Historischer Dokumentar" - ist
nach etwa 10 Jahren Auseinandersetzung um diesen Begriff weiterhin
ungeklärt und offen.
Horvaths Dissertation faßt den gegenwärtigen Stand der Diskussion
hervorragend zusammen und bietet darüberhinaus mit seiner umfassenden
Bestandsaufnahme der gegenwärtig verfügbaren Online-Ressourcen für die
Geschichtswissenschaft ein wertvolles Handbuch, das als
Nachschlagewerk jedem wissenschaftlich arbeitenden Historiker
uneingeschränkt zu empfehlen ist.
Bernd Stickfort
Zurück an den Bildanfang