Der Rezensent verkennt nicht die Schwierigkeit, in einem einbändigen Lexikon dieses breite Fächerspektrum ausgewogen repräsentieren zu wollen, wundert sich aber doch über den einen oder anderen aufgenommenen Begriff, der mit Landwirtschaft auch im weiteren Sinne nichts zu tun hat. So finden sich beispielsweise die Stichwörter BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), Ehegüterrecht, Erbschein, Ehegattensplitting, Testamentsvollstrecker, Versorgungsausgleich, Volkseinkommen, Volkswirtschaft oder eine fast ganzseitige farbige Graphik über die Grundstruktur des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland. All dies wäre in einem wirtschafts- oder rechtswissenschaftlichen Lexikon besser aufgehoben. Nur wenn spezielle landwirtschaftliche Belange tangiert sind, wie das landwirtschaftliche Sondererbrecht, ist die Aufnahme des entsprechenden Begriffes zu verantworten.
Dafür vermißt man Teilbereiche der Landwirtschaft, die durchaus von Bedeutung sind. Die Imkerei ist bis auf einen kurzen Eintrag zum Bienenschutz nicht erwähnt, die Teichwirtschaft wird dagegen ausführlich behandelt. Die Straußenhaltung, eine nicht unproblematische Tierhaltung in unseren Breiten, erhält einen Eintrag, der Winzer hingegen findet in diesem Lexikon keine ausreichenden Informationen zum Weinbau. Die Bereiche Natur- und Tierschutz, Umweltproblematik, artgerechte Tierhaltung und biologischer Pflanzenschutz sind deutlich unterrepräsentiert und zu unkritisch dargestellt, wobei die Länge der Beiträge auch nicht unbedingt ihrer Wichtigkeit entspricht. Biologischer Pflanzenschutz kommt etwa auf die gleiche Länge wie Beton. Erbrecht ist ausführlicher behandelt als Naturschutzrecht. Das Tierschutzgesetz wird hauptsächlich unter dem Aspekt der Landwirtschaft gesehen, das heikle Kapitel der Tiertransporte nicht erwähnt und ob die Bodenhaltung (6 Hennen/mư) als Hühnerhaltungssystem artgerecht ist, sei einmal dahingestellt.
Die Verbände des ökologischen Landbaus sind erfreulicherweise mit ihren Adressen aufgeführt, die Bedeutung des ökologischen Landbaus wird jedoch zu wenig gewürdigt. Adressen anderer Bauernverbände werden dem Leser dagegen nicht verraten.
Bei den historischen Grundlagen vermißt man einen Hinweis auf die für die Landwirtschaft revolutionären Erkenntnisse der Agrikulturchemie von Justus von Liebig. Dort, wo das "reine" Gebiet der Landwirtschaft verlassen wird, gerät die Darstellung mancher Sachverhalte bisweilen ungenau und hilflos. Als Beispiel für ein Biotop dient ausgerechnet die Skizze einer abiotischen Umwelt, und die Biozönose wird anhand einer Waldlichtung mit Bambi-Häschen-Idyll demonstriert. Die photosynthetische CO2-Reduktion vollzieht sich im sehr komplexen Calvin-Zyklus, der als Begriff nicht aufgeführt ist, und der Citratzyklus, der im Gesamtprozeß der Dissimilation seine wichtigste Funktion erfüllt, verweist auf Kohlenhydratstoffwechsel, ein nicht mehr sehr geläufiger Begriff, ebenso wie Pentose-Kreislauf oder Krebs-Zyklus. Und warum C4-Pflanzen "Solarenergie sowie Wasser und Nährstoffe effektiver nutzen können als C3-Pflanzen", bleibt das Geheimnis des Lexikons. Es hängt, das sei hier kurz verraten, mit einer anderen Art der CO2-Fixierung zusammen.
Verblüffende Erkenntnisse aus der Chemie erfährt man beim Stichwort Ion: Atome sind hier positiv oder negativ geladen, was falsch ist, und Sauerstoff liegt nicht atomar vor wie behauptet, sondern immer molekular. Die Darstellung der Atome erfolgt zudem nach dem heute nicht mehr zeitgemäßen Bohrschen Atommodell.
Ixodes ricinus, ein unangenehmer Ektoparasit, überträgt unter dem Stichwort Holzbock die "Zeckenenzephalitis" und "auch noch andere Krankheiten (Babesiose, Theileriose)", unter dem Stichwort Zecken die Frühsommergehirnhautentzündung. Der richtige Terminus ist Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Die Babesiose ist eine extrem seltene Erkrankung im Mittelmeergebiet und den Tropen und in unseren Breiten unbekannt; an der Theileriose erkranken Huftiere vornehmlich in Ost- und Zentralafrika. Die von Zecken übertragene Lyme-Borreliose hingegen, die für den Menschen eine echte Gefahr darstellt, wird nicht erwähnt. Hier wäre bei weiteren Auflagen die Hinzuziehung eines Fachmannes auf dem Gebiet der Biologie dringend angebracht.
Das zweiseitige Literaturverzeichnis, das auch einige Zeitschriften
aufführt, ist primär eine Werbung für BLV-Verlagsprodukte, ansonsten
in weiten Bereichen eine Oldie-Hitparade, wie nur wenige Beispiele
zeigen:[2]
Wehmütig wird es dem Rezensenten ums Herz, wenn er hier den
Schmeil-Fitschen[3] in der Ausgabe von 1967 findet, mit der er seine
ersten botanischen Bestimmungsübungen absolvierte. Zum Pschyrembel[4]
von 1975 wird man auch nicht mehr greifen wollen, und die
Nutztierrassen[5] von 1989 sollten langsam ihren Weg ins Schlachthaus
antreten. Und wem nutzt außerdem die Brockhaus-Enzyklopädie in 20
Bänden von 1966 oder Das große Duden-Lexikon in 8 Bänden von 1969?
Bei den Zeitschriften hat die dlz[6] den Titel geändert, Unser Land
erscheint lt. ZDB und anderer Nachschlagewerke im Deutschen
Landwirtschaftsverlag, Berlin, und nicht bei BLV und bei den
Betriebswirtschaftlichen Nachrichten für die Landwirtschaft handelt es
sich um keine Zeitschrift, sondern um eine Loseblatt-Ausgabe.
Fazit: Bei den schnell aufeinanderfolgenden Auflagen dieses
landwirtschaftlichen Lexikons, das sicher eine Lücke im Bereich der
agrarwissenschaftlichen Nachschlagewerke geschlossen hat, ist die
Überarbeitung vieler Teilbereiche offensichtlich auf der Strecke
geblieben. Lediglich bei den genuin landwirtschaftlichen Themen sind
die Beschreibungen durchweg exakt und mit guten Photos und Graphiken
unterstützt. Dem Verlag ist deshalb dringend anzuraten, die nächsten
Auflagen gründlicher zu überarbeiten und mehr Sorgfalt walten zu
lassen.
Joachim Ringleb
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