Der vorgelegte Katalog der Autorin, ihr nunmehr dritter, beschreibt
alle illuminierten Handschriften und Fragmente deutscher Herkunft des
13. Jahrhunderts, die in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt
werden. Er schließt daher zeitlich unmittelbar an die beiden
Vorgängerbände zu den romanischen Handschriften derselben Bibliothek
an, die in den Jahren 1980 und 1988 erschienen sind.[2] Für die
illuminierten Handschriften des 13. Jahrhunderts französischer und
italienischer Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek, die in
diesem Katalog nicht berücksichtigt werden, sind für einen späteren
Zeitpunkt eigene Bände geplant.
Die vorgestellten Handschriften stammen in ihrer großen Masse
entsprechend der durch die Säkularisation am Ende des Alten Reiches
bestimmten Bestandsstruktur der Bayerischen Staatsbibliothek aus
Bayern und dem östlichen, augsburgischen Schwaben. Einige Zahlen
verdeutlichen das Übergewicht dieser Regionen: Auf Bayern mit den
Bistümern Freising und Regensburg beziehen sich 71 Voll- und 29
Kurzbeschreibungen, also insgesamt 100 Beschreibungen von
Handschriften und Fragmenten, auf Bayern-Österreich mit den Bistümern
Passau und Salzburg insgesamt 40, auf Schwaben mit dem Bistum Augsburg
insgesamt 85. Dagegen handeln von Handschriften oder Fragmenten aus
Franken (Bistümer Bamberg, Eichstätt und Würzburg) 17, aus Böhmen eine
sowie aus Südwestdeutschland, Schweiz und Elsaß (Bistümer Konstanz,
Basel, Straßburg, Speyer) 27 Beschreibungen. Isoliert stehen in der
Sammlung 22 Stücke, die in dem Gebiet um den Mittelrhein sowie in
Hessen und Thüringen, den Bistümern Mainz und Trier also (10), in
Sachsen (6), am Niederrhein oder in Norddeutschland (6) entstanden
sind.
Der Aufbau des Bandes lehnt sich an den der älteren Bände über die
romanischen Handschriften an. Neben einer ersten, regionalen
Einteilung des Materials erlaubt die für die bayerischen Sammlungen
charakteristische Überlieferungsdichte eine Feingliederung nach
Bistümern und Klöstern. Den einzelnen Abschnitten sind Einleitungen
vorangestellt, in denen die Autorin aller erklärten Bescheidenheit zum
Trotz die historischen und kunsthistorischen Probleme und Hintergründe
der Produktion illuminierter Bücher im 13. Jahrhundert in kleinen
kunsthistorischen Regionalmonographien umreißt und dabei zugleich auf
die Hauptstücke aufmerksam macht.
Die Ähnlichkeiten in Anlage und Gliederung mit den Katalogen der
romanischen Handschriften kann jedoch tiefgreifende Unterschiede in
der Sache kaum verdecken, wie zum einen der Blick auf die Zahl, zum
anderen der auf die Herkunft der beschriebenen Codices zeigt. Die
Anzahl der illuminierten Handschriften deutscher Herkunft aus dem 13.
Jahrhundert liegt deutlich unter derjenigen der illuminierten
Handschriften des 12. Jahrhunderts gleichen Ursprungs, die in den
früheren Katalogen der Autorin analysiert wurden. Obwohl beide
Unternehmungen für etwa die gleichen Regionen jeweils die
illuminierten Handschriften eines ganzen Jahrhunderts zusammenstellen,
stehen den 688 Nummern der romanischen Handschriften nur 292
Beschreibungen von Handschriften und Fragmenten des 13. Jahrhunderts
gegenüber. Zum anderen zeigt schon der Vergleich des
Inhaltsverzeichnisses des neuen Katalogs mit denen der älteren, daß
eine Vielzahl der für das 12. Jahrhundert herausragenden Schreib- und
Malzentren im 13. Jahrhundert keine Bedeutung mehr hat. Nicht die
Fortsetzung, sondern der Abbruch von Traditionen charakterisiert in
der Regel die bayerische Buchproduktion des 13. Jahrhunderts. Die
besonderen Bedingungen, die die Ausnahmen (Scheyern, Aldersbach)
möglich machen, sind leicht zu benennen. Unter veränderten
historischen und sozialen, nämlich städtischen Rahmenbedingungen
bilden sich dann seit der Mitte des Jahrhunderts in anderen alten
Zentren neue Traditionen in Werkstätten aus (Regensburg, Augsburg),
die für mehr als einen Auftraggeber arbeiten. Dementsprechend werden
von der Autorin in dem hier vorgestellten Band unter den Klöstern und
Bistümern nicht mehr die Handschriften eines Vorbesitzers, sondern die
eines Entstehungsortes subsumiert. Herkunft und Vorbesitzer, die im
12. Jahrhundert noch vielfach identisch waren, fallen nunmehr
auseinander.
Die historischen Gründe für diese signifikanten Veränderungen, auf die
an anderer Stelle ausführlicher eingegangen wurde,[3] sind im
Bedeutungsverlust der traditionellen intellektuellen Zentren im Reich
sowie im Aufschwung der Schulen im Westen und Süden Europas, in
Frankreich und Oberitalien, und dem parallel dazu sich entwickelnden
Import gelehrter Literatur aus diesen Ländern, schließlich in den
Veränderungen der Buchproduktion auch in Deutschland im Übergang vom
12. zum 13. Jahrhundert zu suchen. Den für ein internationales
wissenschaftliches Publikum arbeitenden Schulen und Werkstätten des
Westens und Südens standen im Reich nur Zentren lokaler
intellektueller und künstlerischer Bedeutung gegenüber, die den
Anschluß an die zukunftsweisenden neuen Methoden und Wissenschaften
verloren hatten.
Es würde den Rahmen dieser Buchbesprechung sprengen, die Fülle an
Einzelbeobachtungen über regionale Entwicklungen und an übergreifenden
Ergebnissen zur allgemeinen Geschichte des illuminierten Buches im 13.
Jahrhundert, die diesen Münchener Katalogband auszeichnet, auch nur
andeutungsweise zu behandeln. Das Spektrum der besprochenen
Handschriften reicht von dem ältesten in Deutschland erhaltenen
Papiercodex, dem Brief- und Konzeptbuch des Passauer Domdekans Albert
Behaim (Kat. 86), bis zu einer der berühmtesten Gedichthandschriften
des Mittelalters überhaupt, der Carmina burana, die von der Autorin
mit überzeugenden kunsthistorischen Argumenten nach Kärnten,
vielleicht nach Friesach, lokalisiert wird (Kat. 105). Relativ
unscheinbare Kopien nach ausländischen Vorbildern wie das Compendium
historiae in genealogia Christi des Petrus von Poitiers (Kat. 23 mit
Abb. 92 und 94)[4] stehen neben Fixpunkten der deutschen Buchmalerei,
den großen Prachtpsalterien aus Regensburg, Augsburg, Würzburg und
Sachsen (Magdeburg?) (Kat. Nr. 42, 120, 191, 197, 235), die
ungewöhnlichen Darstellungen der artes liberales in einer vielleicht
aus Aldersbach stammenden Handschrift (Kat. 73) neben einer um 1235
- 1250 vermutlich in Würzburg im Auftrag eines Rabbiners entstandenen
hebräischen Bibel (Kat. 194 - 195 und ebd. Einleitung, S. 10 ff.), die
wohl in einer christlichen Malerwerkstatt illuminiert wurde und damit
trotz aller Diskriminierung und Verfolgung einer ausgegrenzten
Minderheit die direkten Übernahmen künstlerischer Inhalte durch sie
aus der Mehrheitsgesellschaft dokumentiert.[5] Die wichtigen frühen
deutschsprachigen illustrierten Epenhandschriften der Bayerischen
Staatsbibliothek (Kat. Nr. 34, 201, 202, 217, 236, 241) werden ebenso
behandelt wie einige großformatige Bibeln, die zwar im Buchschmuck die
Tendenzen der Zeit aufnehmen, in ihren Textrezensionen aber noch den
Zustand des 12. Jahrhunderts repräsentieren und von der Pariser
Bibelrevision weitgehend unberührt blieben (Kat. Nr. 18, 50, 178
- 180). Die moderne wissenschaftliche Kommentarliteratur mit ihren
Textbüchern aus Theologie, Kanonistik und Legistik, aus der
aristotelischen Philosophie und aus der Medizin dagegen ist bis auf
einige versprengte Einzelstücke (u.a. Kat. Nr. 20, 74, 106, 110) nicht
vertreten, denn diese Werke besorgte man sich, wie oben angedeutet,
während des Studiums an den italienischen oder französischen
Universitäten.
Das scheinbar so trockene Geschäft des Datierens und Lokalisierens von
Handschriften, das selbstverständlich auch im Zentrum der
Untersuchungen dieses Kataloges steht, ist in Wirklichkeit eine
Synthese aus einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen und das Resultat
vor allem paläographischer, provenienzgeschichtlicher, sprachlicher,
inhaltlicher oder kunsthistorischer Überlegungen. Der Katalog
bestätigt diesen Sachverhalt auf meisterhafte Weise. Vor der Folie der
auch umfassend dokumentierten Literatur zu den einzelnen Stücken
werden die bisherigen Bestimmungen geprüft und vielfach neue
Einordnungen zur Diskussion gestellt. Daraus können zum einen wie im
Falle der sogenannten Haseloffschen Gruppen der
"thüringisch-sächsischen Malerschule" (Kat. Nr. 235) kleinere Exkurse
zur Forschungsgeschichte entstehen, zum anderen in Verbindung mit
bisher noch unpublizierten Ergebnissen zu Berliner Handschriften (P.
Väth) neue Einsichten zu einer sächsischen Werkstatt gewonnen werden,
der vermutlich der Archetyp der illuminierten
Sachsenspiegel-Handschriften sowie einige literarische Codices
entstammen (Kat. Nr. 236). Dieser Gruppe ist im Schema der
Kolumnenillustration die Wiederholung der Anfangsbuchstaben der
Abschnitte als Verweisungszeichen in der Bildspalte gemeinsam, so daß,
wie anzumerken bleibt, das Bild wie eine Glosse zum Text wirkt. Denn
dieses Illustrationsschema basiert letztlich offenbar auf einer
Methode, mit der in ähnlicher Weise schon in den kanonistischen und
legistischen Handschriften des 12. Jahrhunderts der Bezug zwischen
Text und Glosse durch verschiedene Zeichen gesichert wurde.
Die Einleitung der Autorin (S. 7 - 18) widmet sich zusammenfassend
zwei Hauptaspekten der Geschichte des illuminierten Buches in
Deutschland im 13. Jahrhundert, zum einen den sozialen Bedingungen der
Buchproduktion, zum anderen den Charakteristika von drei wesentlichen
Buchgattungen. Im ersten Abschnitt wird trotz aller Anstrengung der
Forschung in den letzten Jahrzehnten deutlich, wie gering für das
Deutschland des 13. Jahrhunderts das gesicherte empirische Wissen über
von Laien betriebene Werkstätten, über den Status der Schreiber und
Maler, über die Bedeutung der Städte als Produktionszentren und über
die Aufraggeber (Adel, hohe Geistlichkeit, gelegentlich Angehörige
jüdischer Gemeinden) im einzelnen immer noch ist. Festeren Boden
betritt die Autorin im zweiten Teil mit ihrer anregenden Skizze zu den
Eigentümlichkeiten von drei, für das Jahrhundert zentralen Buchtypen,
nämlich von Bibel, Psalter, insbesondere auch Luxuspsalterien, und
illustrierter deutschsprachiger Epenliteratur. Die Analyse dieser drei
Gattungen im Hinblick auf Form, Buchschmuck und Inhalt, auf das
Verhältnis von Text und Bild, auf Ausstattungs- und
Illustrationsmodelle, auf ikonographische Typenrepertoires, auf die
Beziehungen von Texttradition und künstlerischer Tradition bietet eine
ausgezeichnete Übersicht über die Vielfalt und Möglichkeiten der
deutschen Buchproduktion im 13. Jahrhundert. Diese Abschnitte sowie
eine Vielzahl von Einzelbeschreibungen in diesem Band zeigen, wie weit
und wie souverän die Autorin über das bloße Beschreiben von
illuminierten Handschriften hinausgeht, indem sie die Einzelstücke,
wenn möglich, in den kulturhistorischen und forschungsgeschichtlichen
Kontext stellt. Sie schafft damit ein Vorbild, das in Zukunft nicht
immer leicht erreichbar sein dürfte.
Die Beschreibungen der Handschriften folgen formal den Richtlinien der
Deutschen Forschungsgemeinschaft; Signaturenliste, Literatur- und
Abkürzungsverzeichnis, ein Personen-, Orts- und Sachregister sowie ein
kunsthistorisches Spezialregister zu Buchschmuck und Ikonographie, ein
Verzeichnis der Handschriften nach Vorbesitzern und eines der
zitierten Handschriften und Kunstdenkmäler erschließen auf gewohnte
Weise den Band. Geheimnis der Autorin wird jedoch bleiben, weshalb sie
wider alle bibliothekarischen und handschriftenkundlichen Regeln wie
schon in den Vorgängerbänden die Personennamen nicht nach der PND,
sondern nach dem Lexikon für Theologie und Kirche ansetzt. Eine
künftige Konversion dieses Kataloges in ein elektronisches Medium wird
dadurch nicht gerade erleichtert. Die von der Autorin analysierten 292
Handschriften und Fragmente werden zum Teil in Originalgröße, zum Teil
auch verkleinert in 705 Abbildungen (davon 16 farbig) dokumentiert. Im
Gegensatz zu einigen anderen Katalogen liegen die Abbildungen, wie es
eine Tradition der Bayerischen Staatsbibliothek erfreulicherweise
vorgibt, separat gebunden in einem eigenen Tafelband vor, so daß die
Benutzbarkeit der Kataloge nicht durch Sparsamkeit am falschen Platz
unziemlich eingeschränkt wird. Die hohe Zahl der Abbildungen kann
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß zwar jede Handschrift
mindestens mit einer Abbildung vertreten ist, daß aber aus
Kostengründen nur ein Teil der beschriebenen Initialen, Miniaturen,
Schemata, Federzeichungen oder Randinitialen wiedergegeben wird. Auf
weiteres Bildmaterial zu den Handschriften in der modernen
wissenschaftlichen Literatur, sofern vorhanden, wird daher in den
einzelnen Beschreibungen in der Regel verwiesen. Die
Bildunterschriften nennen, wie in den meisten kunsthistorischen
Handschriftenkatalogen, nur Signatur, Blatt und Katalognummer der
abgebildeten Handschrift; die für eine effektive paläographische und
kunsthistorische Nutzung des Tafelbandes so wichtige Angabe des
Entstehungsortes und der Datierung, die ein besonderes Kennzeichen des
Berliner Kataloges von Andreas Fingernagel ist,[6] fehlt leider unter
den Abbildungen, so daß für diese elementaren Details jeweils der
Textband konsultiert werden muß.
Bernd Michael
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