Trotz der hohen Anzahl der Einträge handelt es sich um eine bibliographische "Auswahl", bei der "Bevorzugungen bzw. Benachteiligungen" nicht zu vermeiden waren, die ausschließlich dem subjektiven Geschmack des Bibliographen zuzurechnen sind. Anfechtbar ist aber der Band nicht so sehr wegen seines auswählenden Charakters, sondern eher weil er nicht auf Autopsie basiert: Die Titel sind aus Bibliothekskatalogen und sonstigen bibliographischen Datenbanken sekundär erhoben, wie in der Einleitung klar ausgesagt wird, und "nur in Ausnahmefällen" autoptisch kontrolliert.
Wie der Titel des Bandes verspricht, besteht der Hauptteil der Bibliographie aus einem "chronologischen Verzeichnis", in dem die übersetzten Titel in sechs zeitlich aufeinanderfolgenden Abschnitten aufgeführt werden; unter den einzelnen Jahrhunderten sind die Übersetzungen nach Erscheinungsjahr alphabetisch nach Namen des Verfassers angegeben; am Schluß folgen Anonyma und solche Titel, deren Erscheinungsjahre die gewählten Grenzen überschreiten. Die Originaltitel sind in Klammern hinzugefügt. Nicht selten fehlt bei den Originaltiteln - die auch Ungenauigkeiten aufweisen, wie z.B. im Falle von Goethes Übertragung der berühmten Ode von Alessandro Manzoni (Nr. 1872), die bekanntlich Il cinque maggio heißt und nicht "Il giorno quinto di maggio" - das Datum der Erstveröffentlichung.
Aus der gewählten Methode, die Titel indirekt zu erheben, resultiert
zwangsläufig das Defizit, daß alle, auch noch so wichtige "versteckte"
Übersetzungen vernachlässigt werden. Vergeblich sucht man z.B. nach
der Dante-Übertragung von Johann Nikolaus Meinhard,[1] aus der Heinrich
Wilhelm Gerstenberg die Anregung zu seinem Ugolino-Drama (1768)
bezogen hat.
Von Matthias Claudius, einem fruchtbaren Übersetzer, besonders aus dem
Französischen, findet sich gerade seine Übertragung von Louis-Claude
de Saint-Martins Des erreurs et de la verité (Breslau, 1782); es
fehlen jedoch die folgenden drei Titel, die in der deutschen Version
von Claudius eine erkennbare Nachwirkung gehabt haben, also wichtiger
als die eine verzeichnete sind: Jean Abbé Terrasson: Geschichte des
Ägyptischen Königs Sethos (2 Bände, Breslau, 1777 - 1778), bekanntlich
eine der Quellen für die ägyptische Atmosphäre der Zauberflöte, aber
auch von Christoph Martin Wieland für seine Märchensammlung
Dschinnistan ausgewertet; Andrew Michael Ramsay: Die Reisen des Cyrus,
eine moralische Geschichte (1780, trotz des englischen Namens des
Verfassers eine Übertragung aus dem Französischen, auch keine
sogenannte Umwegübersetzung); Fenelon's Werke religiösen Inhalts (3
Bände, Hamburg, 1800 - 1809).
Zwar ist die Lukian-Übersetzung von Christoph Martin Wieland (Leipzig
1788 - 1789) verzeichnet (Nr. 1223), nicht jedoch der, zum Teil auf
Wieland fußende, aber vielfach ergänzte mehrbändige deutsche Lukian
von Hanns Floerke (München und Leipzig : G. Müller, 1911), eine
Ausgabe von besonderer Wirkung, weil die Literaten der
Jahrhundertwende, den Dichter der Dialoge in dieser Edition gelesen
und als Quellen für eigene Werke benutzt haben, so z.B. Hugo von
Hofmannsthal für sein Fragment gebliebenes Drama Timon der Redner oder
die Rhetorenschule.[2]
Von dem Roman Una donna der Italienerin Sibilla Aleramo, einem Werk
aus dem Jahre 1907, wird zwar die neuere Übersetzung von M. Wunderle
1977 angegeben (Nr. 13321); es fehlt jedoch die erste Übertragung von
Nina Knoblich, die schon 1908 mit einem Vorwort von Georg Brandes
erschien und Aufsehen erregte.[3]
In Zusammenhang mit dem Werk des Nobelpreisträgers Romain Rolland
taucht in der Bibliographie der Name von Stefan Zweig nie auf, obwohl
eigentlich diesem Schriftsteller das Verdienst zukommt, den Franzosen
mit seinen Übersetzungen (des Aufrufs Den hingeschlachteten Völkern.
- Zürich : Rascher, 1918; des Dramas Die Zeit wird kommen. - Wien :
Tal,
1919; des Romans Clérambault. - Frankfurt a.M. : Rütten & Loening,
1922) in den deutschen Sprachraum eingeführt zu haben.
Genug mit solchen Einwänden, die aber beweisen, wie die prinzipiell zu
Recht beanspruchte subjektive Auswahl des Bibliographen eher der
reinen Willkür nahekommt.
Die Register, die den zweiten Teil der Bibliographie ausmachen,
bestehen aus folgenden fünf Sektionen: Autor(inn)en, Autor(inn)en nach
Sprachen, Originalwerke (Titel in alphabetischer Reihenfolge),
Übersetzungstitel (nach Sprachen und innerhalb der Sprachen
alphabetisch geordnet) und schließlich Übersetzer(innen). Abgesehen
von der kakographisch-komischen Verbeugung vor dem modischen
Feminismus, stören im Register Ungereimtheiten wie Graf Knyphausen,
A., der unter dem Buchstaben G eingeordnet wird (richtig dagegen unter
R: Reventlow, F. Gräfin zu). Solche Fehlsortierungen der mechanischen
Computerordnung hätten beim Lesen der Korrekturen eigentlich auffallen
müssen.
In der Einleitung wird zwar die wichtige, oft unterschätzte Rolle der
Übersetzer als Hauptvermittler von Weltliteratur betont, deren
Vornamen werden dann aber, im Hauptteil und im anhängenden Register,
schmählich mißachtet: Im Grunde ein zusätzlicher Beitrag zu ihrem
eingangs bedauerten "Schattendasein".
Gabriella Rovagnati
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