Ein neues umfangreiches Register Querverweise verknüpft verwandte und ähnliche Zitate miteinander. Es stellt den Hauptgewinn der 3. Aufl. dar und ist differenziert nach den Rubriken teilidentisch bzw. Fortsetzung, variiert, ähnliches Motiv und ähnliche Form. Die erste Rubrik enthält praktisch Dubletten, d.h. Zitate, die auf identische Quellen zurückgehen und sich nur durch Verkürzungen, Umstellungen o.ä. unterscheiden. Beispiel: 1798 Omnia vincit amor, nos et cedamus amori; auf denselben Vergilvers wird unter 139 das Zitat Amor vincit omnia gestützt. Allerdings ist nur etwa die Hälfte der derartigen Dubletten aufgeführt; es fehlen z.B. 97/1372, 139/1798, 1038/2887, 1727/1821. Warum aber hat B. die Querverweise nicht gleich in den Hauptteil eingearbeitet?
Die grundlegenden Mängel des Buchs sind jedoch geblieben: die unangemessene Kommentierung und Dokumentierung von Zitaten und die nicht erklärten Differenzen zwischen Quelle und Zitat. Ein paar Beispiele: 1776 "Omnia cum amico delibera, sed de te ipso prius. Berate alles mit deinem Freunde, zuvor aber über dich selbst (Richtig: ... zuvor aber berate dich über ihn selbst)." Wieso der Klammerzusatz? Weil in der Quelle te fehlt, wodurch sich in der Tat ein ganz anderer und plausiblerer Sinn ergibt, wie in der Klammer angegeben: Der Autor Seneca mahnt zur Sorgfalt bei der Wahl der Freunde. Als weitere Quellenbelege sind zwei HW-Nummern ohne Text angefügt; wer sich die Mühe macht, dort nachzusehen, findet Omnia cum amico delibera und Omnia cum amico delibera, sed de ipso prius. B. hat also offensichtlich te aus unerfindlichen Gründen eingeschoben und dadurch den Sinn und die formale Pointe Senecas verdorben. - 1854 "Parva do, ut mihi magna remittantur. Ich gebe kleine Geschenke, um größere zu erhalten." In der (mit vorsichtigem "vgl." angefügten) Quelle steht ungefähr das Gegenteil: Wer große Geschenke macht, will auch große Geschenke bekommen; meine bescheidenen Gaben dagegen verpflichten dich nicht. Das ist logisch und formal wesentlich überzeugender. Woher stammt B.s Lemma? Ist es von B. selbst zurechtgemacht? Oder nur ein Lapsus? Einen Satz wie "Die Herkunft des Zitats ist unbekannt" sucht man in dem Buch vergebens. - 1767 "Omnes pendent ab ore narrantis. Alle hängen am Mund des Erzählers." Bei Vergil will aber nur die verliebte Dido immer wieder Aeneas' Geschichten hören "und hängt immer wieder am Mund des Erzählers" (pendetque iterum narrantis ab ore); woher stammen omnes und die geänderte Wortstellung? - 101 "Alea iacta est. Der Würfel ist geworfen." Das als Quelle abgedruckte längere Textstück aus Sueton trägt zur Erläuterung des bekannten Caesar-Ausspruchs wenig oder gar nichts bei; andererseits ist B.s eigene Kommentierung zu knapp, um für jeden Leser die Bedeutung und den historischen Zusammenhang klar zu machen. Daß es sich um ein Zitat aus Menander handelt, erfährt man gar nicht. - Die in der genannten Rezension kritisierten Nummern 432 (Di bene vertant ...) und 1120 (Zitat und Quelle haben kein Wort gemeinsam) begegnen unverändert wieder. - Ganz offensichtlich geht B. einfach zu sorglos mit den Quellen um.
Die 1. Aufl. 1996 von Reclams lateinischem Zitaten-Lexikon ist in IFB
97-1/2-094 ausführlich und im Vergleich mit der 2. Aufl. von Nota
bene! rezensiert worden. Hauptsächlicher Kritikpunkt waren dort die zu
zahlreichen Druckfehler und ähnlichen Versehen. Sie sind in der 2.
Aufl. größtenteils korrigiert, vor allem die gravierendsten. Die
verbliebenen Schwächen des Buchs wiegen weniger schwer und gehen vor
allem auf das Konto übermäßiger Kürze: fehlende Numerierung der
Zitate; manchmal zu knappe Erläuterungen; zu kärgliche Register (vor
allem im Vergleich mit B.s sehr ausführlichem Register-Anhang). Der
Vergleich mit Nota bene! hinsichtlich Zuverlässigkeit und
Praktikabilität als Nachschlagewerk fällt jetzt noch deutlicher
zugunsten Kaspers aus.[5]
Charakter und Zweck von Expressis verbis sind nicht leicht zu
bestimmen, zumal der Klappentext und das nur eineinhalbseitige Vorwort
sich nicht sehr klar äußern. Die Abgrenzung zu Nota bene! ist
fließend. Es handelt sich nicht, wie der Untertitel vermuten läßt, um
einen Neuaufguß des älteren Buchs in thematischer Anordnung nach dem
Prinzip "Für jeden Anlaß das passende Zitat". B. hat andere Texte (nur
weniges taucht in beiden Büchern auf) mit anderer Absicht ausgewählt:
"Wenn man wissen möchte, wie es um das Lebensgefühl der Menschen
früherer Zeiten bestellt war, bleibt kaum ein anderer Weg als der,
Äußerungen von Zielsetzungen zu sichten und in eine Ordnung zu
bringen, die dem, der Auskunft sucht, ein rasches Auffinden
ermöglicht" (Vorwort). Der Klappentext drückt es so aus: "... eine
Sammlung von 2400 lateinischen Zitaten ..., die konkrete Situationen
aufzeigen, in die der Mensch sich gestellt sieht. Es werden also nicht
Lebensweisheiten zum besten gebenen, sondern reale Lebenslagen
geschildert - von der Wiege bis zur Bahre, vom Himmelhoch-Jauchzen bis
zum Zu-Tode-betrübt-Sein." Es geht also nicht um fliegende Wörter oder
Zitate im Sinne eines Zitatelexikons. Bei der Auswahl der Texte kam es
auf ihre inhaltliche Aussagefähigkeit, nicht auf ihre formale Brillanz
an; Prosa überwiegt; das Buch nähert sich dem Typ Anthologie. B.
beschränkt sich laut Quellenregister im wesentlichen auf einen relativ
kleinen Kreis von Autoren und Werken, die auf das Alltagsleben und
seine Ethik eingehen, allen voran Senecas Epistulae morales mit ca. 20
%, ferner Senecas andere philosophische Schriften, Briefe von Cicero
und Plinius, Ciceros De officiis, Publilius Syrus' Sententiae,
Satiriker und Komiker. Das 2. Jh. n. Chr. wird nur zweimal
überschritten (Boethius). Vergil z.B. erscheint nur viermal, davon
dreimal mit Zitaten bei Seneca.
Die einzelnen Positionen sind wie in Nota bene! gegliedert: 1.
laufende Nummer; 2. der lateinische Text fett;[6] 3. Übersetzung, wobei
in der Regel bewährte Ausgaben der Verlage Artemis/Winkler
herangezogen werden; 4. evtl. kleingedruckt der Kontext des Zitats
lateinisch und deutsch; 5. Stellenangabe. Angeordnet sind die
Eintragungen sachlich. Die Überschriften der Hauptgruppen lauten:
Leben, Mensch, Der Mensch als Individuum, Der Mensch als Partner, Der
Mensch in der Gesellschaft, Der Mensch im Staat, Der Mensch in
schwierigen Situationen, Lebenshilfe durch Philosophie. Darunter gibt
es drei weitere Gliederungsebenen; unter Der Mensch in der
Gesellschaft z.B. findet sich Soziales Verhalten, darunter Grenzfälle,
diese sind (ungefähr) alphabetisch nach Schlagwörtern von Grenzen der
Güte über Undurchsichtiger Rat bis Unbedachte Hilfe[7] gegliedert. Den
meisten Schlagwörtern auf der untersten Ebene folgt nur ein einziger
Text.
Über die Gliederung, die Formulierung der Überschriften, die Auswahl
und Zuordnung der Texte kann man natürlich verschiedener Meinung sein.
Mancher Text erscheint durch den Kontext in einem etwas anderen Licht
und paßt dann nicht mehr so gut in die Rubrik, in der er steht. Die
Aussagefähigkeit der Texte, ohnehin durch ihre Kürze (ca. 3 bis 60
Wörter) und die Herausnahme aus ihrem Zusammenhang z.T.
beeinträchtigt, ist manchmal dürftig,[8] und wie bei Nota bene!
beschleicht den Leser bisweilen der Eindruck des wahllos und
unkritisch Angehäuften, der durch das eindrucksvolle deutsche
Sachregister mit ca. 7000 Eintragungen noch verstärkt wird. Aber im
großen und ganzen kann man sagen, daß B.s Konzept Hand und Fuß hat und
das Buch überhaupt einen soliden Eindruck macht. Dem Rezensenten sind
nur wenige und unbedeutende Druck- und sonstige Detailfehler
aufgefallen. Das Ziel, dem Leser ein breites Kaleidoskop von römischer
Vorstellungswelt und Alltagsethik zu bieten, wird in etwa erreicht.
Freilich ist eine solche subjektive Auswahl von Textschnipseln keine
ernsthafte Quellensammlung. Das Ganze steht unter der Prämisse "...
bestechen diese Textstellen zu allem Menschlich-allzu-Menschlichen
immer wieder durch ihre überraschende Aktualität, ja es läßt sich
sagen, daß die Gefühle, die die Menschen bewegen, und die Situationen,
mit denen sie sich herumschlagen müssen, im Grunde die gleichen
geblieben sind." (Klappentext; Ähnliches im Vorwort). Für uns
Fremdartiges wie die Religion und die Haltung zu den Sklaven und den
Gladiatorenkämpfen ist ausgeblendet. Daß es sich eher um ein Lesebuch
zum Schmökern als um ein Nachschlagewerk für Leser, die es genau
wissen wollen, handelt, trifft hier noch mehr zu als für Nota bene!
Der auffällige Preisunterschied deutet vielleicht darauf hin, daß auch
der Verlag von dem Buch nicht ganz überzeugt war.[9]
Bernd Bader
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