Der l. Teil des Bandes behandelt die Verlagsgeschichte der Jahre 1800
bis 1840 in drei Abschnitten: Johann Anton André (1775 - 1842), der
Sohn des Verlagsgründers (Lebenslauf, seine Beziehung zu Senefelder,
Lithographie, Verbindung zu Constanze Mozart und Erwerbung des
Mozart-Nachlasses), Das Verlagsgeschäft (Beschreibung der
Geschäftsunterlagen wie Verlags-, Kopier- und Journalbücher, Kataloge,
des Geschäftsbetriebes und der Verlagsprodukte), und Die
Verlagspolitik (Verlagsprogramm, das Problem des Nachdrucks). Der
Verfasserin gelingt die Durchdringung und gediegene Aufarbeitung eines
umfangreichen Materials sowie eine anschauliche Darstellung ihrer
umfassenden Forschungsergebnisse auf 110 Seiten. Der bibliographische
Wert und der für die Datierung der Verlagswerke praktische Nutzen
liegt im 2. Teil, einem beinahe lückenlosen Verzeichnis der
Verlagswerke von 1800 - 1840 mit den Verlagsnummern 1400 bis 6400.
Angegeben werden zu den einzelnen Druckwerken: Verlagsnummer,
Komponist und gegebenenfalls die Nummer im jeweiligen
Standard-Werkverzeichnis, Titel, Preis, Datierung und
Datierungsquelle, der eventuelle Bearbeiter, Opuszahl und der Vermerk,
ob von dem Stück ein Archivexemplar vorhanden ist. Bei den zitierten
Werkverzeichnissen (Köchel, Kinsky-Halm, Hoboken usw.) werden die
Werke Pleyels nach dem Benton-Katalog (mit der Abkürzung Bent) und für
einen Teil der Werke Spohrs die Nummern des Göthel-Verzeichnisses
(abgekürzt Göth) angegeben. Für die Werke von Kozeluch fehlen dagegen
die Standardnummern des thematischen Katalogs von Milan Postolka.[3]
Als 3. Teil folgen zwei Register: Verzeichnis der rund 450 verlegten
Komponisten und der anonymen Werke (S. 352 - 485) und eine
systematische Zusammenstellung der Werke nach Besetzungen (S. 486
- 642). Innerhalb der Besetzungsgruppen erfolgt die Aufzählung nicht
alphabetisch nach Komponisten, sondern nach Verlagsnummern. Zur
Datierung der normalerweise ohne Angabe des Erscheinungsjahrs
gedruckten älteren Musikalien war man bisher auf das verdienstvolle
Werk von Otto Erich Deutsch[4] angewiesen, das mit Erscheinungsjahren
belegte Editions- oder Plattennunmmern verzeichnete. Während Deutsch
für den Zeitraum 1800 bis 1840 44 datierte Verlagsnummern mitteilte,
die zur Datierung der André-Ausgaben bereits wertvolle Anhaltspunkte
gaben, ist hier nun das Hundertfache an Drucken mit Verlagsnummern
- das vollständige Verlagsrepertoire J. A. Andrés - aufgeführt. Rund
550 Nummern sind unbesetzt geblieben, für einige Nummern (1875, 1895,
2731, 2950, 3703) gibt es keine Nachweise. Nur für eine Minderzahl von
Drucken konnten Datierungsbelege beigebracht werden; im Übrigen müssen
Erscheinungsdaten wie bei O. E. Deutsch weiterhin interpoliert
werden.
Einige Probleme der Namensansetzung sind hier anzusprechen:
1. Vornamen werden meist - manchmal übervorsichtig, z.B. Joseph
Müntzberger und J. Müntzberger - aufgelöst, mitunter aber stets
abgekürzt angegeben, z.B. Vanderhagen, A. J. Fr. Jos. = Armand Jean
François Joseph; Blangini, G. M. M. Felice = Giuseppe Marco Maria
Felice; Saint-Lubin, N.-A.-A.-L. de = Napoléon Antoine Eugène Léon.
- Hier seien noch einige Vornamen und Lebensdaten ergänzt: Bockmühl,
R.
E. = Robert Emil (1820 - 1891); Gretscher, Fr. = Franz Gretscher (1816
- 1895); Delamare, J. ([nicht:] Joseph?) ist der Cellist
Jacques-Michel Hurel de Lamare (Delamarre) (1772 - 1823); Sedlatzek,
Jean = Johann S. (1789 - 1866); Hettersdorf(f), F. v. ist der Mainzer
Domherr Emmerich Joseph Freiherr von H. (1766 - 1830); Nohr, Friedrich
= Christian Friedrich Nohr (1800 - 1875); Cramer, Heinrich, identisch
mit dem populären Klavierkomponisten Henry Cramer (1818 - 1877),
desgleichen Peter Hänsel, der sich Pierre Haensel nannte; die
Lebensdaten von Johann Gottfried Schade sind 1756 - 1828 und die von
Jean Sedlatzek = Johann Sedlatzek 1789 - 1866. - Nina d'Aubigny (1777
- 1848), die in den Nachschlagewerken meist unter Aubigny geführt
wird, steht hier (ohne Verweisung) unter Engelbrunner. - Steinwarz und
Uber: der in keinem Musiklexikon nachschlagbare Dilettant Jakob
Friedrich Joseph Wilhelm Steinwarz (1779 - 1847) war Fürstlich
Leiningenscher geheimer Kabinettssekretär und künstlerischer Leiter
des Gesellschaftstheaters in Amorbach, das 1807 eröffnet wurde und bis
1814 bestand. Alexander Uber, Freund Carl Maria von Webers, war
Konzertmeister in der dortigen 1814 aufgelösten Hofkapelle. Die hier
verlegte Gemeinschaftskomposition dürfte daher spätestens in die Zeit
von 1814/15 fallen.
2. Die Schreibweise böhmischer Familiennamen ist oftmals diskutabel.
Während es in der DDR üblich war, die tschechische Schreibweise (und
auch die tschechisierte Schreibweise für deutschstämmige Autoren wie
Rejcha, Stamic usw.) zu gebrauchen, werden heute wieder die deutschen
Namensformen deutschböhmischer Autoren und der im deutschsprachigen
Raum wirkenden Tschechen in deren selbst gewählten Schreibungen
verwendet. B. Constapei hat sich mehrheitlich für die deutschen
Namensformen (die gebräuchlichen) entschieden (Kozeluch, Gyrowetz,
Vanhal, Wranitzky, Krommer, den die Tschechen Krámar nennen), jedoch
die Schreibung Koczwara, Frantisek (statt Kotzwara, Franz),
Becvarovsky, Antonín Frantisek (statt Beczwarzowsky, Anton) und
Vitásek, Jan Nepomuk August (statt Wittassek, Johann August)
bevorzugt. Es wäre nachzuprüfen, ob die tschechischen
Namensschreibungen dieser Komponisten auf den Titelblättern der
André-Ausgaben erscheinen. In Zweifelsfällen sollte von der quasi
offiziellen auf die übliche bzw. vorliegende Namensform verwiesen
werden.
3. Leider muß überhaupt das Fehlen von Verweisungen beklagt werden,
die für die Benutzung nützlich (gewesen) wären und die für ein
Nachschlagewerk wie das vorliegende unverzichtbar sind. So erscheint
Johann Wenzel Stich nur unter seinem Pseudonym Punto, Giovanni nebst
dem Hinweis [= Stich, Jan Václav].
Rückverweisungen von Mitverfassernamen werden nicht gegeben, d.h. die
Zweitverfasser erscheinen nicht wieder unter ihren eigenen Namen im
Komponistenalphabet. So steht die Violinschule von Baillot, Rode und
Kreutzer nur unter Baillot; die Variationen von Beethoven und von
Philipp Carl Hoffmann über ein Thema von Peter von Winter stehen nur
unter Beethoven, aber nicht unter Hoffmann, obgleich sie ein eigenes
Werk dieses Komponisten sind. Die erwähnte Gemeinschaftskomposition
von Steinwarz und Uber findet man nicht unter Alexander Uber; der
unter Beethovens Namen erschienene Sehnsuchtswalzer steht nur unter
Beethoven, L. v. (richtig: Schubert, Franz), aber nicht unter
Schubert, desgleichen die Ausgaben des Walzers Letzte Idee nur unter
Weber, C. M. v. (richtig: Reissiger, C. G.) und nicht unter Reissiger,
Carl Gottlieb (1798 - 1859), wo sie ja eigentlich hingehören. - Ebenso
fehlen alle Zweitverfasser der Ausgaben Mozart/André, Dornaus/André,
Gelinek/Kauer, Kreutzer/Bochsa, Kreutzer/Cherubini usw. usw.
4. Bearbeitungen gelten inzwischen als den Originalkompositionen
gleichwertige Leistungen und sind heute von vielen Ensembles gesuchte
Werke. Insofern wäre es durchaus angebracht und sinnvoll gewesen, die
Bearbeiter und ihre Arrangements in das Komponistenalphabet mit
aufzunehmen oder sie in einem Personenregister nachzuweisen. Die
meisten stehen als Komponisten im Register, aber eben nicht als
Arrangeure; einige (wie Ahl, Foreit, Gambaro, J. D. Hoffmann,
Lachnith, Seyfried, Vaillant, Weiland, Will) kommen im Namenalphabet
überhaupt nicht vor. Wünschenswert wäre auch ein Register der
Originalautoren gewesen, über deren Werke andere Komponisten
Variationen geschrieben haben, wie der oben genannte P. v. Winter mit
Beethoven und Hoffmann.
Zuletzt seien hier zwei Druckfehler verbessert: bei Weigl's Marsch aus
Festas Feuer (VN 2444) handelt es sich um Vestas Feuer, eine Oper von
Emanuel Schikaneder, von der Beethoven die erste Szene komponiert hat;
und Narciße (!) Paz gehört unter Paz, Narcisse ist der Vorname.
Bleibt zu hoffen, daß nach diesem wichtigen Buch eine Fortsetzung des
Verzeichnisses der Editionen dieses auch für die zweite Hälfte des
bibliographisch so schwierigen 19. Jahrhunderts wichtigen Musikverlags
in Offenbach erarbeitet wird.
Fritz Kaiser
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