Das Repertorium der Verlagskorrespondenz Göschen versucht das Lebenswerk des 1752 in Bremen geborenen und 1828 in Grimma verstorbenen Verlegers Georg Joachim Göschen zu dokumentieren. Der Herausgeber Stephan Füssel und die Bearbeiterin Sabine Doering haben ein kurzes Vorwort unterzeichnet, in dem es u.a. heißt: "Das Repertorium verzeichnet alle ermittelten Briefe an und von Georg Joachim Göschen während eines Zeitraumes von nahezu 50 Jahren [...]. Besonders wertvoll war die Einbeziehung des Briefkopierbuches des Verlages für den Zeitraum von Juli 1817 bis März 1824 aus dem Archiv des Berliner de Gruyter-Verlages [...]. Trotz umfangreicher Recherchen kann das Repertorium keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben." Dennoch kann man wohl davon ausgehen, daß dieses Verzeichnis keine wesentlichen Lücken enthält. Fünf weitere "Außenmitarbeiter an Orten mit erheblichen Briefbeständen" haben das ihre dazu beigetragen, daß die zerstreute Korrespondenz in ihrer Hauptmasse erfaßt worden ist (Marion Marquardt in Leipzig, Felicitas Marwinski in Jena und Weimar, Andreas Nolte in Berlin, Siegrid Stein und Wolfgang Stein in Dresden).
Die Anordnung der Verlagskorrespondenz erfolgt im übersichtlichen Zweispaltendruck in chronologischer Folge und fortlaufender Numerierung. Ihre innere Ordnung ist nach einheitlichem Schema angelegt: Nennung von Absender und Empfänger, Datum und ggf. Empfangsdatum und Ort, an dem der Brief geschrieben wurde; es folgen Format und Anzahl der (beschriebenen) Seiten, Standort und Signatur, Nachweis über bereits vorliegende Drucke. Es folgt eine knappe, aber in der Regel noch genügend aufschlußreiche Inhaltsangabe. Ein "Register der Briefschreiber und -empfänger" erleichtert den Zugang zu diesem monumentalen Verzeichnis, verzichtet aber - aus verständlichen, aber nicht unbedingt zwingenden Gründen - auf einen Eintrag unter Göschen, Georg Joachim, Leipzig. Zum Schluß ihres Vorworts geben Herausgeber und Bearbeiterin ihrer "Hoffnung Ausdruck, daß durch die gute Kooperation so vieler Personen und Institutionen ein solides Arbeitsinstrument geschaffen wurde, das zum ersten Mal die Verlagskorrespondenz eines bedeutenden Verlegers der deutschen Spätaufklärung und der Klassik zusammenstellt und damit sowohl der Buchforschung wie der Literaturwissenschaft wichtiges Quellenmaterial aufschließt." Dem kann man sich nur anschließen.
Den Ende 1998 erschienenen Bd. 2 des dem Verleger Göschen gewidmeten Werks hat der Herausgeber Stephan Füssel auch als Autor zu verantworten. Es handelt sich um die Verlagsbibliographie. Die ersten zwei Sätze seiner Vorbemerkungen lassen aufhorchen: "Die nach Autopsie erstellte Bibliographie erschließt die vollständige Verlagsproduktion von Georg Joachim Göschen (1785 - 1828) sowie die seiner Söhne Carl-Friedrich Göschen-Beyer (1822 - 1827) und Hermann Julius Göschen (1828 - 1838), also die Zeit des Verlages in Familienbesitz. Da sich das Verlagsarchiv Göschens nicht erhalten hat, ermöglicht sie erstmals einen vollständigen Überblick über das Verlagsprogramm eines der bedeutendsten Verleger der Zeit um 1800". Wer sich jemals auf einem vergleichbaren Terrain bewegt hat, den beschleichen aufgrund dieser forschen Formulierungen leichte Zweifel. Wie "vollständig" kann eine Verlagsbibliographie sein, wenn ihr als Grundlage eine akribisch geführte Registratur eben dieses Verlags fehlt? Wie um den Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird eine beachtliche Anzahl von Quellen vorgeführt: Meßkataloge, Verlagsanzeigen, Lagerkataloge, Rezensionen der Allgemeinen Literatur-Zeitung, der Ortskatalog der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, der Verlagskatalog im Deutschen Literaturarchiv in Marbach a.N., einschlägige bibliographische Hilfsmittel usw. Die Anordnung der Titel erfolgt chronologisch, innerhalb der einzelnen Jahre alphabetisch. "Die Titelaufnahme erfolgt diplomatisch getreu nach Autopsie und übernimmt daher auch inkonsequente Schreibweisen [...]. Die jeweiligen Autorennamen werden in normierter Schreibweise jedem Eintrag vorangestellt, die erschlossenen Autorennamen bei anonymen Drucken in eckigen Klammern; Pseudonyme können über das Register entschlüsselt werden."
Diese programmatischen Ankündigungen werden jedoch schon auf den ersten Seiten der Bibliographie durch den Augenschein widerlegt. Schon die Nr. 2 der durchnumerierten Titelaufnahmen nennt einen nicht unbekannten Autor Beaumarchais, dessen volle Namensform man erst im Register findet. Mit der alphabetischen Ordnung wird es auch nicht so ganz genau genommen. Die Verweisung Huber, L. F. findet sich erst nach Huber, Ludwig Ferdinand (S. 3); auf S. 194 ordnet Bülau, Friedrich gar vor Brewster, Sir David (S. 195). Die inkonsequente Ordnung von Hauptsachtiteln bzw. Einheitssachtiteln macht sich auch bisweilen störend bemerkbar. Gelegentliche Anlehnungen an Bibliothekskataloge, die den Preußischen Instruktionen von 1899 folgen, sind bei der Auswahl der Ordnungsworte und bei Übersetzungen zu beobachten. In einigen wenigen Fällen wird der eckig geklammerte Originaltitel mit dem Zusatz Dt. vorangestellt, während in anderen Beispielen nicht einmal der Hinweis auf einen Originaltitel in einer Fußnote erfolgt. Was die "erschlossenen Autorennamen bei anonymen Drucken" angeht, stößt man - entgegen der Ankündigung - z.B. auf folgende Variante: Bertuch, Friedrich Justin [anonym erschienen], mit der sich Bibliothekare auch nicht anfreunden können. Des weiteren ist die aus Verlagskatalogen bekannte Verfahrensweise zu finden, alle anonymen Titel (bzw. Vielverfasserschriften), wenn irgend möglich, unter einem "Autor" einzutragen, selbst wenn es sich nur um eine sonstige beteiligte Person, wie einen Herausgeber oder einen Übersetzer handelt. Das führt dann auch schon mal zu dem kuriosen Fall, daß ein in der bibliographischen Beschreibung genannter Autor nicht die Haupteintragung erhält - auch nicht sein Übersetzer -, sondern sein Herausgeber (Nr. 764); der Verfasser ist nur im Register (Jurine, Louis) zu finden.
Solche Einwände aus bibliothekarischer Sicht müssen aus dem Grund erhoben werden, weil es doch hin und wieder nötig sein wird, mit den Angaben aus der Bibliographie in unseren Katalogen - noch längst nicht alle als Datenbanken verfügbar - auch etwas, ja wenn nicht zu finden, so doch wenigstens suchen zu können. Als Beispiel weiterer kleinerer Ungenauigkeiten kann die Verzeichnung des vergessenen Autors Christian Leberecht Heyne gelten, der im Register der Verlagsbibliographie auch unter seinem Pseudonym Anton-Wall zu finden ist, im Register zur Verlagskorrespondenz jedoch weder unter Wall noch unter Anton, sondern nur unter Heyne, Christian Leberecht (Anton Wall) auftaucht. Das mindert den Wert der Verlagsbibliographie aber nicht merklich, denn aufgrund der chronologischen Anordnung und mit Hilfe des Registers, gegliedert nach Autoren und Herausgeber, Übersetzer, Zeitschriften, Almanache und Kalender müßte es mit einigem Geschick immer noch möglich sein, auch stark von den in Bibliotheken üblichen Regeln der Katalogisierung abweichende Titel aufzuspüren. Die weniger signifikanten, aber für die Forschung interessanten Kategorien des Registers sind Widmungsempfänger, Korporative Widmungsempfänger, Maler, Zeichner und Stecher und Druckorte und Drucker (nach den Druckvermerken). Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind neben Angaben zu modernen Reprints die nach Möglichkeit angezeigten zeitgenössischen Rezensionen der einzelnen Werke.
Wie steht es nun aber um die Vollständigkeit der Bibliographie? Ein Vergleich mit den heute allgemein zugänglichen Katalogisaten der Opacs der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart und der Universitätsbibliothek Tübingen, die über eine genügend große Anzahl erfaßter Titel des Altbestandes informieren, läßt die eine oder andere Berichtigung oder auch Ergänzung wahrscheinlich werden, ohne einer notwendigen Autopsie vorgreifen zu wollen. So sind z. B. Umfangsangaben zu korrigieren: Bei Nr. 1078 muß es statt XXXVIII u. 398 S. : XXXVIII, 598 S. heißen, was durch ein Exemplar der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe bestätigt wird; bei Nr. 1036 statt XXVI, 243 u. 56 S. : XXVI, 56, 243 S., wiederum durch ein Karlsruher Exemplar belegbar. Der Titel Allgemeine Elementarlehre der richterlichen Entscheidungskunde / von Amand Gottfried Müllner. - Leipzig : Göschen, 1812. - XX, 298 S. fehlt in der Bibliographie; hier wird nur eine Zweite unveränderte Ausgabe von 1819 aufgeführt mit der Fußnote 1. Auflage: Göttingen 1812. Es lassen sich noch mehrere andere Abweichungen feststellen, die vorallem dann von besonderem Interesse sind, wenn sie die bis heute unaufhörlich erforschten Klassiker der deutschen Literatur und ihren Umkreis betreffen.
Nach erstem Augenschein fehlen in der Bibliographie Einzelausgaben der
Werke von Wieland, Goethe und Iffland. So wäre z. B. die Ausgabe Die
Leiden des jungen Werther / von Goethe. - Leipzig : Göschen, 1787.
- 196 S." (UB Tübingen) zu verifizieren. Die Bibliographie von
Waltraud
Hagen kennt eine Ausgabe mit dieser Titelvariante (Werther statt
Werthers) aus demselben Jahr, aber mit anderer Paginierung (310 S.
statt 196 S.).[4] Eine mögliche Separatausgabe aus Neue Thalia könnte
sein: Über Anmuth und Würde / von Carl von Dalberg. - Leipzig :
Göschen, 1793, die in derselben Zeitschrift Schillers ebenfalls
selbständig erschienene Replik (Nr. 306 und 307 der
Verlagsbibliographie) evozierte. Der Opac der Württembergischen
Landesbibliothek Stuttgart enthält u.a. folgende in der Bibliographie
nicht zu findende Göschen-Ausgaben: Der Fremde : ein Lustspiel in fünf
Aufzügen / Iffland, August Wilhelm. Leipzig : Göschen, 1800. - 182 S.,
wobei es sich um einen Einzeldruck aus Ifflands Werken Bd. 11 (Nr.
514) handeln wird; Agathodämon : in 7 Büchern / Wieland, Christoph
Martin. - Leipzig : Göschen, 1799. - 476 S. - Einzeldruck aus
Sämmtliche Werke Bd. 32? - (Nr. 503); Geschichte des Weisen
Danischmend und der drey Kalender : ein Anhang zur Geschichte von
Scheschian / [Christoph Martin Wieland]. - Leipzig : Göschen, 1795.
- 12, 464 S. - ein Band der Sämmtlichen Werke (Nr. 357), aus dem
eventuell nur das Gesamttitelblatt entfernt wurde? - ; Iphigenie auf
Tauris : ein Schauspiel / von Goethe. - Leipzig : Göschen, 1790. - 136
S. - (vgl. Bibliographie Nr. 67 und Hagen Nr. 172a ff.). Die Badische
Landesbibliothek Karlsruhe besitzt einen Einzeldruck von Ifflands
Werken Bd. 1 (Bibliographie Nr. 429) Meine theatralische Laufbahn /
von August Wilhelm Iffland. - Leipzig : Georg Joachim Göschen, 1798.
- 300 S., aber auch hier fehlt vielleicht nur das Gesamttitelblatt.
Es bleiben also noch ein paar Fragen offen. Aber die
Verlagsbibliographie Göschen darf nicht an möglicherweise nötigen
Ergänzungen gemessen werden, sondern an der Bewältigung einer riesigen
Titelmasse aus unterschiedlichsten Quellen. Hier haben jahrelange
gründliche Studien ihren Niederschlag gefunden, und sie haben zu einem
imposanten Ergebnis geführt. Auf den Bd. 1 des Werkes Georg Joachim
Göschen, ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik,
der die Monographie zur Verlagsgeschichte enthalten wird, darf man
gespannt sein.
Rainer Fürst
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