Kriegseinsatz ist heute ein verfängliches Wort: Die Konnotation von Einsatz ist nicht nur durch die Einsatztruppen bestimmt, auch durch die anderen Formen von politisiertem "Wissenschaftseinsatz", die seinerzeit betrieben wurden. Hausmann zeigt aber, daß der Kriegseinsatz sich gerade gegen die letzteren abzuschirmen wußte. Was dieses Wort vor allem meinte, wird aus einem von Hausmann zitierten Brief der Ehefrau eines dabei Aktiven deutlich: "...ist es günstig, daß mein Mann nicht zum aktiven Wehrdienst einberufen wurde, sondern daß er den Kriegseinsatz in wissenschaftlicher Form abzuleisten hat" (S. 349, Anm. 214). Es handelte sich um eine offizielle Maßnahme des Reichserziehungsministeriums, bei dem der Initiator und Leiter des Unternehmens, der Kieler Rektor (und Jurist) Paul Ritterbusch, dazu auch im Rang eines Ministerialdirigenten tätig war. Die Aktivitäten wurden mehr oder weniger auf dem Dienstweg in die Wege geleitet und als Verpflichtung präsentiert (die Protagonisten waren oft auch Rektoren - sieben amtierende waren dabei, neben einer ganzen Reihe ehemaliger, S. 136 -, immer gehörten sie zur fachlichen Prominenz). Möglich wurde so vor allem die Fortsetzung von Normalwissenschaft: Kongreßartige Treffen, die ansonsten unterbunden waren, Publikationen trotz eingeschränkter Druckkapazitäten, Forschungsmittel vor allem auch für jüngere, noch nicht arrivierte Wissenschaftler. So verweigerten sich nur wenige dem Unternehmen. Wo Verweigerung stattfand, geschah das wohl mehr aus elitärer Distanz gegenüber der geforderten popularisierenden Darstellung als aus politischem Dissens, wie Hausmann zeigt (vgl. S. 167, 174, 180, 322), ausführlich dokumentiert bei den von ihm detaillierter untersuchten Romanisten (Curtius, Schalk u.a.). Daß sich auch politisierte Beiträge fanden, vor allem rassisitische, kann kaum verwundern - erstaunlich ist, daß sie die Ausnahme bleiben konnten, daß überwiegend die Abgrenzung zur SS, zum Amt Rosenberg, zu W. Franks Reichsinstitut und dgl. recht deutlich gelang, daß es sogar möglich war, oppositionelle Stimmen (und disziplinierte Fachkollegen!) zu Wort kommen zu lassen. Die Verhältnisse in den einzelnen Sparten waren allerdings sehr unterschiedlich, wie aus Hausmanns Zusammenstellung deutlich wird: Politisiert waren vor allem die staatsrechtlichen Beiträge, die direkt die Rolle einer Legitimationswissenschaft für das Regime übernahmen, dann auch die der Philosophie, die als Etikett für eine systemkongruente Überwissenschaft diente.
Hausmann wird nicht müde, immer wieder zu betonen, daß das Unternehmen
aber auch in den nicht politisierten Beiträgen nicht unschuldig war,
da auch diese durch den Faschismus und die Shoah (hier insbes. auch
die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler) "kontextualisiert" ist (so
S. 201 u.ö.); dadurch liest sich seine Argumentation manchmal wie ein
Versuch, die alten Spruchkammerurteile zu revidieren. Vor 20 oder 30
Jahren, als viele der Aktivisten noch ihrem Dienst nachgingen und
dabei eine Wissenschaft praktizierten, die von der Verdrängung der
Vergangenheit geprägt war, wäre ein solch anklagender Gestus
Bestandteil der damals dringend benötigte Aufklärung gewesen - aber
heute? Schließlich war nichts, was die gesellschaftlichen Verhältnisse
im Faschismus reproduzierte, unschuldig - auch nicht der Anbau von
Kartoffeln, mit denen Wehrmachtsoldaten und KZ-Aufseher ernährt
wurden. Fragen nach der Schuld führen auf ein vermintes Terrain, etwa
zu zynischen Gegenfrage wie die, wem denn der Kriegseinsatz der
Geisteswissenschaften geschadet habe, der immerhin dem Militärapparat
Mittel (sogar Devisen) - und zumindest zeitweise doch auch durch
UK-Stellung schießende Soldaten entzog.[1] Herausgelöst aus der direkten
Auseinandersetzung mit den beteiligten Personen interessieren weniger
Schuldzuweisungen, als vielmehr die Mechanismen der Kollusion, die die
Reproduktion des faschistischen Systems bis zur Shoah möglich machten.
Dank Hausmanns Recherchen werden die entsprechenden Mechanismen im
universitären Bereich auch sehr viel greifbarer.
Zweifellos hatte die Aktion einen propagandistischen Nutzen, gerade
auch im Kontext der Kampagnen gegen die faschistische Politik der
Vertreibung jüdischer Wissenschaftler. Dessen waren sich viele
Akteure, wie Hausmann zeigt, auch bewußt (S. 26 u.ö.). Mit ihrem
Bemühen, die Funktionstüchtigkeit der Wisenschaft im Reich unter
Beweis zu stellen, waren sie so doppelt in diese Politik eingebunden
- und davor schützte auch eine oppositionelle Gesinnung nicht, wie
Hausmann am Beispiel des Aktivisten und Widerständlers W. Krauss
deutlich macht (der im übrigen nicht nur in diesem Kontext dubiose
Texte hinterließ).[2] Vielleicht irritierender noch als die Frage nach
der Kollusion mit dem faschistischen System ist die nach der so
praktizierten Wissenschaft. Hausmann argumentiert unter der Prämisse
von der "enthaupteten Wissenschaft" (vgl. S. 46, 54 u.ö.), die aber
durch die Forschung der letzten dreißig Jahre - und eben auch durch
seine eigene - hier als nicht haltbar erwiesen ist. Ein engagierter
Nazi mußte kein schlechter, erst recht kein unmoderner Wissenschaftler
sein, wie gerade an dem von Hausmann offensichtlich als Inkarnation
des Bösen angesehenen Rektor der Univiversität München und "Curator"
des Ahnenerbes der SS, W. Wüst, deutlich ist. Eine direkte Verbindung
mit ihm läßt Hausmann keine sachliche Wissenschaft erwarten (vgl. etwa
S. 216); Wüsts wissenschaftliches Format wird aber nicht zuletzt daran
deutlich, daß im Nachkriegsdeutschland die Vertreter einer moderner
vergleichenden Sprachwissenschaft (etwa an der Auseinanderstzung mit
der sog. Laryngaltheorie abzulesen) Wüsts persönliche Schüler waren.
Entgegen dem in vielen Darstellungen immer noch Kolportierten war ein
Strukturalismus auf dem Niveau der Saussure-Vulgata heutiger
Proseminare auch in Nazi-Zeiten schon Schnee von gestern - in der
Germanistik bei Weisgerber in Marburg nicht anders als in der
Romanistik bei von Wartburg in Leipzig.
Das verweist auf den in systematischer Sicht vielleicht spannendsten
Punkt bei diesem Unternehmen und bei Hausmanns Darstellung. Mit dem
Kriegseinsatz wurde eine neue Form von Wissenschaftsorganisation
betrieben, die ganz unmittelbar heute aktuelle Strukturen wie die
Sonderforschungsbereiche der DFG vorwegnimmt (hier gibt es auch
institutionelle und personelle Kontinuitäten, auf die Hausmann selbst
verweist, S.17 - 18 u.ö.).[3] In diesem Kontext wurden neue
organisatorische Strukturen geschaffen (auch im Sinne der
Verselbständigung von Fächern, wie Hausmann ausführlich am Beispiel
der Romanistik diskutiert, mit interessanten Parallelen, aber auch
Differenzen zur Psychologie); vor allem aber operierte die
Wissenschaft dabei unter Vorgaben, die quer zur Reproduktion der
etablierten Disziplinen lagen. Die so erzwungene interdisziplinäre
Zusammenarbeit erklärt z.T. auch die ungleiche Berücksichtigung der
verschiedenen Sparten (die Publizistik bzw. "Zeitungswissenschaft" ist
z.B. nur bei anderen Vorhaben beteiligt). Interessanter noch als der
organisatorische Aspekt ist der fachlich-methodische. Kongruent zu der
geplanten Neuordnung Europas waren die Vorgaben des Kriegseinsatzes
areal definiert und erzwangen damit einen Bruch mit der traditionellen
organischen Sichtweise der kulturellen (sprachlichen) Transmission:
Vielmehr waren so endogene Entwicklungsfaktoren (darunter insbes. eben
auch die rassisch gefaßten) in Hinblick auf den Kontakt mit exogenen
zu untersuchen, autochthone Kulturen im Kontakt mit allochthonen. Das
galt für die in den Arbeiten überwiegend eingenommene
historisch-rekonstruktive nicht anders als für die gegenwarts- bzw.
zukunftsbezogene Perspektive: Die Indogermanen im Kontakt mit der
vorindogerman. Bevölkerung Alteuropas, die Germanen im Kontakt mit den
Romanen bzw. dem Mittelmeer-Kulturraum, die oktroyierte deutsche
Kultur in den besetzten Gebieten ...[4] Daß vieles von dem so
Publizierten nur voluntaristisch ist (unter dem Stichwort der
"Feindaufklärung" zu verbuchen ist), kann bei einer Laufzeit der
einzelnen Vorhaben von oft nur ein oder zwei Jahren, also der Laufzeit
eines heutigen kleinen Drittmittelprojektes, ebenso wenig verwundern
wie die Tatsache, daß meist nur auf vorherige Forschungen
zurückgegriffen wurde.
Aber auch aus Hausmanns kursorischen Hinweisen wird deutlich, daß hier
eben doch innovativen Fragestellungen nachgegangen wurde.[5] Zur
wissenschaftlichen Tragik der Vertreibung vieler der kreativsten Köpfe
gehört es, daß diese gerade in diesem Horizont dachten (um nur einige
der mir vertrauteren Sprachwissenschaftler zu nennen: der Finno-Ugrist
Ernst Lewy, der Romanist Leo Spitzer, der Altorientalist Benno
Landsberger u.a.), daß diese aber im Exil in der Regel keinen
institutionellen Kontext fanden, um solchen Fragestellungen
nachzugehen: Die Philologien waren damals vor allem in den USA,
verglichen mit Deutschland, extrem konservativ und abgeschottet
gegenüber solchen Ansätzen - die mit den Vorgaben des Kriegseinsatzes
vergleichbaren "Area Studies" sind erst eine junge Kreation der 60er
Jahre.[6]
Nach Einzelstudien von Historikern zu den politisierten Unternehmungen
bei der SS, dem Amt Rosenberg und dgl. und nach der großen Chronique
scandaleuse von H. Heiber zur Universität unterm Hakenkreuz[7] hat
Hausmann mit seinem Buch jetzt die Grundlagen gelegt, mit denen in der
"geisteswissenschaftlichen" Fachgeschichte weiterzuarbeiten ist. Nicht
zuletzt in Hinblick auf die so geleistete Erschließung des sonst z.T.
nur schwer erfaßbaren Schrifttums sollte das Buch in keiner
Forschungsbibliothek fehlen.[8]
Der Verlag ist zu einem handwerklich gut gemachten Buch zu
beglückwünschen. Ärgerlich ist nur der Verlagsname, dessen
Anglisierung (bei einem deutschen Universitätsverlag!) nicht nur
albern ist: Sie sieht bei einem Verlag aus den neuen Bundesländern
nach einer 50%igen Modernitätsanstrengung aus. Bei einem Buch, in dem
es um die überangepaßte Erfüllung politischer Vorgaben geht, wirkt das
geradezu peinlich.
Utz Maas
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