Das Spektrum der hier verzeichneten Literatur, Aby M. Warburg wie auch seine Bibliothek betreffend, mit insgesamt 3102 Nummern zuzüglich 82 a-Nummern, ist beachtlich: Es reicht von grundlegenden ikonographischen und ikonologischen Studien, Nachrufen auf Warburg, Berichten über die Verlegung der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg von Hamburg nach London (z.B. Nr. 715) über sämtliche Literatur zu 'Warburgianern' wie Erwin Panofsky oder Fritz Saxl bis zum Artikel über Planeten im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (Nr. 809), einem Beitrag über Spezialbibliotheken in Georg Leyhs Handbuch der Bibliothekswissenschaft (Nr. 1096), zu Artikeln in Kürschners deutschen Gelehrtenkalender 1931 (Nr. 678), in Enzyklopädien wie Grote Winkler Prins (Nr. 1526), Erwähnungen in Werner Steins Kulturfahrplan, sogar Eintragungen im Vorlesungsverzeichnis der Universität Bamberg (Dozent: Wuttke, Nr. 2990) und Anzeigen in Verlagskatalogen (Nr. 3022). Auch verschiedene Ausgaben und Übersetzungen einzelner Werke wie von Ernst Robert Curtius' Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter werden aufgeführt. Häufig fehlen bei den Übersetzungen jedoch die Hinweise auf das Original (z.B. Nr. 2707a, Eugenio Garin, das Original ist als Nr. 1595 verzeichnet). Der Band berücksichtigt die maschinenschriftliche Magisterarbeit (Nr. 2313) ebenso wie den Rundfunkbeitrag (Nr. 2577) und enthält sogar die Dissertation der jüngsten Tochter Aby M. Warburgs, Frede Warburg (Nr. 823).
Die Bibliographie, die leider grundsätzlich keine Verlage angibt, ist
eine wahre Fundgrube für die ikonographische Forschung, Spiegel der
Beziehungen und des Umfelds von Warburg (z.B. Nr. 115) und liest sich
wie ein Adreßbuch ausgewiesener Kulturwissenschaftler des 20.
Jahrhunderts: Theodor W. Adorno, Rudolf Arnheim, Erich Auerbach,
Walter Benjamin, Jan Bialostocki, Hans Blumenberg, Jacob Burckhardt,
Peter Burke, Ernst Cassirer, Benedetto Croce, Ernst Robert Curtius,
Ernst H. Gombrich,[2] William S. Heckscher, Gustav René Hocke, Johan
Huizinga, Raymond Klibansky, Siegfried Kracauer, Susanne K. Langer,
Friedrich Ohly, Erwin Panofsky, Mario Praz, Fritz Saxl, Jean Seznec,
Edgar Wind, Rudolf Wittkower, Heinrich Wölfflin und Frances Amelia
Yates. Auch Schriftsteller wie Stefan Zweig oder Günter Grass mit
Unkenrufe (Nr. 2801) sind vertreten. Aufgrund der detaillierten und
akribischen Bestandsaufnahme kann man die vorliegende Bibliographie
sogar tendenziell als Zitierindex bezeichnen.
Über weite Strecken darf man die Bibliographie als annotierend, ja
räsonnierend bezeichnen. Ein diesem Bibliographietypus eignendes
Paradoxon begegnet auch hier: umfangreiche Studien sind oft nicht,
kurze Hinweise auf Warburg hingegen meist mit Seitenangabe annotiert.
Die Annotationen enthalten u.a. aussagekräftige Zitate aus den
verzeichneten Veröffentlichungen, Hinweise auf Bezugnahmen auf Warburg
und 'Anknüpfungen' (z.B. Nr. 901, 902), engagierte und überaus
kräftige Kritik (z.B. Nr. 1406 über Hans Robert Jauss: "zur
'Warburg-Schule' Unsinniges" oder Nr. 2704: "Diss., in der
Kunstgeschichtswissenschaft durch Formen von Beliebigkeit ersetzt
ist"), auch Desiderata der Warburg-Forschung (z.B. das Verhältnis
Huizinga - Warburg, Nr. 1009). Bei einigen Eintragungen, die nicht
annotiert sind, wird der Kontext, der zu einer Aufnahme des jeweiligen
Beitrages in die Bibliographie geführt hat, nicht ohne weiteres
ersichtlich (z.B. Nr. 2493).
Abteilung B des Bandes, Archivmaterial (S. 369 - 424), gibt ein
Kurzinventar des Warburg Institute in London (S. 385 - 416), führt
zahlreiche weitere Fundorte auf, etwa zu Briefen, enthält u.a. auch
den handschriftlichen Vorschlag zur Wahl Warburgs zum
Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften in
Göttingen (S. 376) oder 74 Objekte, die Warburg auf seiner Expedition
zu den Pueblo-Indianern sammelte (Hamburgisches Museum für
Völkerkunde, S. 379).
Erschlossen wird die Bibliographie mit Hilfe zweier Register von
Reiner Reisinger, einem Autorenregister (S. 427 - 461) und einem
Register Namen und Sachen (S. 462 - 511). Das Autorenregister erfaßt
Autoren, Herausgeber (einschließlich der institutionellen),
Mitarbeiter, Übersetzer und ebenso bildende Künstler als Schöpfer
nicht-literarischer Werke (S. 426). Das Sachregister läßt die
Intentionen seines Verfassers nicht so recht erkennen und ist auch
nicht immer leicht zu benutzen: Welche Registereinträge sind einfach,
welche komplex, beispielsweise dem Registereintrag Warburg, Aby M.
nachgeordnet? Welche res gelangen ins Sachregister, welche nicht? Zwar
werden zentrale Termini Warburgianischer Kulturdeutung (Antike,
Astrologie, Bewegtes Beiwerk, Pathosformel, Renaissance, Symbol),
angeführt, ebenso ein wichtiges Element Warburgianischer Idiomatik
(Der liebe Gott steckt im Detail), selbst der von Panofsky so brillant
gedeutete Rolls-Royce-Kühler und auch die Fußnote. Leider fehlen aber
z. B. das Ephemere (Nr. 2863), Leidschatz (Nr. 3035),
Problembibliothek (Nr. 2709) und Schwingung (Nr. 2743). Wenn also in
der Kulisse des Registers ein auf Warburgiana bezogener Thesaurus
bereitgehalten worden ist, so werden dessen Selektionsverfahren,
Aufbau und Zuschnitt nicht transparent.
Wuttke nutzt seine gut redigierte Bibliographie[3] auch, um den Verlust
der Führungsrolle Warburgs und der 'Warburg-Schule' für die
Kunstgeschichtswissenschaft zu bedauern: "Die zukunftsweisenden,
substanzwahrenden Teile des Faches haben sich anscheinend in die
Bauforschung, die Denkmalpflege, die Architekturgeschichte, die
Museumsarbeit, die Werkstätten der Restauratoren, die Kunstpädagogik
oder in die Beständigkeit der Facharbeit der 'Stillen im Lande' sowie
einiger Institutionen und sogenannter kleiner Nationen wie die der
Niederländer und Schweden zurückgezogen" (S. XII - XIII). Den
Verfasser erfreut es jedoch, daß die angemahnten Defizite in der
Kunstgeschichtswissenschaft durch erfolgversprechende Entwicklungen in
anderen Kulturwissenschaften kompensiert werden (S. XIII).
Wuttkes Band stellt eine wohl einzigartig "mikrologisch angelegte
Wirkungsbibliographie" (S. XV) dar, eine Bibliographie eines Gelehrten
über einen Gelehrten, wie man sie gelegentlich bereits ausgestorben
wähnte, die beste Personalbibliographie, die der Rezensent seit langem
in der Hand hält. Wenn man auch den idealen Benutzer für diesen Band,
denjenigen, "der sie durchliest" (S. XVIII), nur selten finden dürfte,
so gehört die vorliegende Bibliographie doch in jede wissenschaftliche
Bibliothek, im Falle systematischer Aufstellung im übrigen eher in
einem trans- und interdisziplinären Bereich 'Kulturwissenschaften'
anzusiedeln als bei der Kunstgeschichte. Im Bibliographieunterricht
mag sie zudem als Exempel einer gelungenen Personalbibliographie
dienen. Überdies könnte der Band daran erinnern, daß Bibliotheken mehr
sein sollten als Orte betriebswirtschaftlich organisierter
Verwaltungs- und Dienstleistungstätigkeit.
Werner Bies
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