So einleuchtend das Unternehmen im Ansatz auch erscheint, die
Durchführung befriedigt in verschiedener Hinsicht überhaupt nicht. Für
die in der DDR erschienene Literatur wird die - übrigens auch die
Jahre vor der Errichtung der DDR einbeziehende - wichtigste
bibliographische Quelle bis zum Berichtsjahr 1962 nicht
berücksichtigt, nämlich das gleichfalls annalistisch angelegte Werk
von Jacob,[1] das nicht nur wesentlich vollständiger, sondern in den
bibliographischen Angaben auch präziser ist. Die Kritik richtet sich
indes gar nicht auf das Verhältnis zwischen der von Jacob angestrebten
Vollständigkeit und der restriktiveren Auswahl (z.B. durch Verzicht
auf Kriminal- und Unterhaltungsschriftsteller) in dem hier
anzuzeigenden Band, sondern allein auf die Tatsache, daß bei der
"vergleichenden Auswertung der Indizes anerkannter und kanonisierter
Literaturgeschichten und Autorenlexika", die von Manfred Brauneck[2] bis
zu Gero von Wilpert[3] reichen, die bibliographisch ergiebigste Quelle
für in der DDR herausgekommene Publikationen einfach übersehen worden
ist. Die Liste der ausgewerteten Werke ist mit nur 22 Titeln im
übrigen sehr knapp ausgefallen. Aus der Konsultation der
Arbeitsstelle, die an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften derzeit die umfangreiche Fortsetzung der Annalen
betreibt, hätten sich wichtige zusätzliche Daten zu DDR-Publikationen
ermitteln lassen.
Aber es kommt noch ärgerlicher. Man traut seinen Augen kaum, ist doch
z.B. nicht einmal das im selben Verlag erschienene Autorenlexikon von
Andrea Jäger[4] ausgewertet, das sich in der Zielsetzung mit der
vorliegenden Bibliographie erheblich überschneidet, sie aber durch die
Einbeziehung unselbständiger Veröffentlichungen, etwa in Anthologien,
an Information weit übertrifft.
Einige gravierende Mängel, die bei der Benutzung auffallen, gehen auf
Oberflächlichkeiten bereits bei der Konzeption zurück. So wird der
Band abgeschlossen von einer Autorenliste, die "nicht nur jene Autoren
aufführt, deren Werke tatsächlich in den Austausch [der unglücklich
gewählte Ausdruck "Austausch" ist hier nicht als bibliothekarischer
Terminus technicus gemeint, sondern steht für die buchhändlerische
Verbreitung durch Lizenzen etc.] gelangt sind, sondern alle, die bei
der Recherche berücksichtigt wurden. Anhand dieser Information ist
auch eine erste Beurteilung der gegenseitigen Kenntnisnahme möglich"
(S. 14). Diese Ankündigung verspricht weit mehr, als die Liste hält,
die nämlich nur die Namen mit den Lebensdaten anführt, nicht jedoch
auf die Seiten oder Erscheinungsjahre verweist, wo sich die Namen
finden.
Vollends an der Nase herumgeführt kommt man sich vor, wenn man zu
dieser Liste auch noch den Hinweis bekommt: "Ein überwiegender Teil
der geleisteten Arbeit ist lediglich hier, indirekt, vorstellbar.
Inhaltlich bedeutet die offensichtliche Differenz zwischen
Registereintragungen und der Zahl faktisch am Austausch beteiligter
Autoren einen ersten konkreten Hinweis" (S. 12). Nein, nichts ist da
konkret, allenfalls etwas "vorstellbar", aber nur für die paar Genies
(sie dürften, mit Verlaub, unter den Benutzern der Bibliographie
selten sein), die sich allein aufgrund ihrer Phantasie eine
Vorstellung davon machen können, wie sich die rund 1400 Namen der
Liste zu den rund 3500 Namensnennungen im Textteil der Bibliographie
verhalten. Wer aus der Liste kommt da wohl mehrfach und wer überhaupt
nicht vor? Um nicht allzu beckmesserisch zu erscheinen, sei zu der
logischen Entgleisung "ein überwiegender Teil" nur nachgefragt, aus
wievielen überwiegenden Teilen denn noch sich die Bearbeiterinnen das
Ganze ihrer Arbeit zusammengesetzt vorstellen. "Sprache - der wahre
Verräter" (Peter Wapnewski); wie überall, so auch für die Qualität
wissenschaftlicher Arbeiten!
Je komplizierter der gewählte Zeichenvorrat, um so größer ist
natürlich auch das Risiko von Flüchtigkeitsfehlern: Im Eintrag 1978
(S. 332) ist der 1955 in die DDR gegangene Peter Hacks z.B. richtig
ein West-Ost-Wanderer, 1989 (S. 707) wechselt er in die andere
Richtung. Kein Werk, zu dem man die Bearbeiterinnen, geschweige denn
die künftigen Benutzer, vorbehaltlos beglückwünschen könnte.
Hans-Albrecht Koch
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