Eine Fortsetzung dieser Bibliographie mit gleichen Mitteln verspricht die 1998 erschienene Eichendorff-Bibliographie des Mainzer Buchwissenschaftlers Thomas Lick, verweist dessen Mentor, Prof. Hans-Joachim Koppitz, im Vorwort doch ausdrücklich auf ein Anknüpfen an das Werk von 1927.
Doch bereits hier erfährt man die erste Enttäuschung: war (es sei noch einmal wiederholt) die Bibliographie des Dichterenkels, den Zugriff immens erleichternd, noch primär systematisch gegliedert und erst dann, innerhalb der Gruppen, chronologisch sortiert, so reiht Lick unterschiedslos Eintragung an Eintragung (und beschränkt sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger auf jene Primärwerke, denen ein Vor- bzw. Nachwort beigeordnet ist; reine Textausgaben fanden somit keine Berücksichtigung). Die insgesamt sechs Register Licks (Verfasserregister, spezifische Eichendorff-Periodika, Register der behandelten Personen, geographisches Register, Werkregister, Sachregister) sind derart liederlich gearbeitet und zeugen von solch geringer Sachkenntnis sowohl Eichendorffs wie auch der systematischen Sacherschließung, daß sie in keiner Weise Ersatz bieten können für eine solide systematische Anordnung der Notierungen bereits im Hauptteil.
Einmal mehr erweist es sich, daß eine Personalbibliographie von
ausgewiesenen Kennern der Vita wie des Werkes der jeweiligen
Persönlichkeit erstellt werden sollte. Th. Lick jedenfalls
diskreditiert sich durch eine so augenscheinliche und eklatante
Unkenntnis Eichendorffs, daß insbesondere die Register mehr in die
Irre führen denn den Hauptteil erhellen.[1] Der Titel Scherer, Michael:
"Schläft ein Lied in allen Dingen ..." Eine Studie zur deutschen
Romantik. In: Stimmen der Zeit. 1957/58, S. 401 - 410 erscheint im
Register der behandelten Werke unter dem Eintrag "Schläft ein Lied in
allen Dingen", obwohl es sich bei dem Aufsatztitel offensichtlich um
eine Ausformung der nicht mehr ganz neuen literaturwissenschaftlichen
Mode handelt, Aufsätze durch einen vorangestellten eyecatcher, ein in
Anführungszeichen gehülltes, sinnstiftendes Zitat zu veredeln - ganz
abgesehen davon, daß überhaupt kein "Werk" Eichendorffs mit diesem
Titel existiert.[2] Auch das Sachregister ist in weiten Teilen
unbrauchbar, da es nur die Titel der Sekundärliteratur wiederholt. Die
Eintragungen erwecken bisweilen den Eindruck, als seien sie
EDV-generiert und ohne intellektuelle Erschließungsarbeit erzeugt
worden.[3] Der Autor vereinfacht sich seine Arbeit dergestalt, daß er
das sogenannte Sachregister überwiegend aus den Begriffen "Eichendorff
als... " sowie "Eichendorff und..." bildet und sodann eine bunte Kette
von Anhängseln folgen läßt, die ohne jede sachliche Aufbereitung
aneinandergereiht werden.[4]
Das Wort Autopsie erscheint beim Autor nur einmal mit einer sehr
knappen Erwähnung (S. VI); weitaus mehr Raum verwendet er für die
Aufzählung der 31 Bibliographien und bibliographienartigen Werke, die
er ausgewertet hat (S. VII - IX). Dieser Eindruck eines monotonen,
ungeprüften Abschreibens[5] bereits verstreut vorhandener
Literaturnachweise erhärtet sich zusehends: in weiten Teilen handelt
es sich um eine inspirationslose und bar jeder bibliographischen
Eigeninitiative produzierte Kumulierung altbekannten Titelmaterials.
So ergibt sich ein schon formal uneinheitliches Bild, das manchmal die
Jahrgangszählung oder die Seitenangaben notiert, häufig genug aber
sich auf sehr rudimentäre bibliographische Angaben beschränkt: gerade
eben so, wie die Qualität der Vorlage war. Durch eigene Recherchen
angereichert und ergänzt wurde das Titelmaterial offenbar nur sehr
selten. Hätte der Autor beispielsweise Nr. 2921 autoptisch behandelt,
wäre ihm die hier 'versteckte', 10 Seiten umfassende Bibliographie zur
Genealogie derer von Eichendorff mit ihren zahlreichen weiterführenden
Titeln aufgefallen. Lick beschränkt sich hier, wie so oft bei
'verborgenen' Juwelen, auf eine dürre Titelanzeige.
Es gilt prinzipiell: je leichter ein Titel zu bibliographieren ist, je
häufiger er schon zuvor nachgewiesen wurde, desto größer ist die
Wahrscheinlichheit, ihn bei Th. Lick zu finden. Je entlegener der
Titel jedoch ist, je höher der Rechercheaufwand gewesen wäre, desto
eher gerät diese Bibliographie an ihre ohnehin engen Grenzen. Wo der
wissenschaftlich Forschende und der Bibliothekar im Signierdienst und
in der Informationsvermittlung auf Tiefenerschließung hoffen, versagt
die Bibliographie und vermag weder der Titelverifikation noch der
Germanistik hilfreiche Dienste zu erweisen. Dort, wo man spezifische
Ansprüche an eine Personalbibliographie stellt, wo man mehr erwartet
als nur eine Kumulierung der Eichendorff-Einträge in
Allgemeinbibliographien, läßt der Autor den Benutzer ratlos zurück.[6]
Nicht anders verhält es sich mit wissenschaftlichen Monographien, die
unter einem thematischen Aspekt das dichterische Werk Eichendorffs
untersuchen. Die arbeitssparende Übernahme von Fremddaten führt zu
einer aussagearmen Anhäufung von Buchtiteln, deren Inhalt dem Benutzer
verschlossen bleibt.[7]
Eine Bibliographie streng chronologisch ohne jede vorherige sachliche
Strukturierung anlegen zu wollen, verpflichtet dazu, dieses
selbstgewählte Prinzip auch einzuhalten. Verwirrend ist es da, wenn
mehrbändig begrenzte Werke wie etwa die Historisch-Kritische
Eichendorff-Ausgabe nur ein einziges Mal notiert werden: auf S. 3, Nr.
36, reiht der Autor sämtliche in die Berichtzeit der Bibliographie
fallende zwölf Werkbände hintereinander - mit Erscheinungsjahren von
1927 bis 1994. Eintragungen bzw. Verweisungen bei den jeweiligen
Jahren fehlen.[8]
Nach diesem Modus wird vom Autor allzuhäufig Ungleiches gleichgesetzt.
Der Insel-Verlag in Leipzig des Jahres 1932 ist nun einmal nicht mit
dem gleichnamigen Verlag im Leipzig des Jahres 1973 zu
parallelisieren. Die Notierung Nr. 174[9] aber vermittelt den Eindruck,
die Ausgabe des republikanischen Leipzig des Jahres 1932 sei mit jener
des Jahres 1973 aus dem kommunistischen Leipzig auf eine Stufe zu
stellen. Letztere indes versucht eine sozialistische Umwertung
Eichendorffs, indem sie dem Dichter einen "gefühlsmäßigen,
romantischen Antikapitalismus unterstellt" und aus der zutiefst
bürgerlichen Figur des Taugenichts einen proletarischen "einfachen
Menschen aus dem Volke" zimmert, "der in vielem den plebejischen
Helden des Volksmärchens gleicht".[10]
Zufälligerweise recherchierte der Rezensent zeitgleich mit dem Autor
die Sekundärliteratur zu Eichendorff. Meine wirkungsgeschichtliche
Untersuchung[11] hat Th. Lick für seine Bibliographie nicht mehr
verwenden können. Aufschlußreich gestaltet sich ein überschlägiges
Abgleichen der von mir ermittelten Quellen: es werden sich hier mehr
als 500 einschlägige Titel zu Eichendorff finden lassen, die bei Lick
nicht verzeichnet sind. Die Ursache liegt in der Inspirationslosigkeit
und dem offenkundigen Desinteresse Licks an ermüdender Wühlarbeit:
weder wurden von ihm einschlägige Periodika wie Der Ratiborer, das
Heimatblatt der Vertriebenen aus Eichendorffs Heimatstadt, der
Schlesische Katholik, das Mitteilungsblatt der Eichendorffgilde, der
Deutsche Ostdienst oder die Kulturpolitische Korrespondenz
systematisch exzerpiert noch wurden die gängigen Allgemein- und
Fachbibliographien gebührend herangezogen. Die Literatur (Stuttgart)
etwa verfügte in der Vorkriegszeit über eine Rubrik Das literarische
Echo. Echo der Zeitungen. Zur deutschen Literatur, die zahlreiche
wertvolle Pressebeiträge zu Eichendorffs 75. Todestag 1932 oder zu
seinem 150. Geburtstag 1938 liefert. Auch das Leipziger Börsenblatt
erweist sich, etwa für die Berichterstattung anläßlich des 100.
Todestags Eichendorffs 1957, mit seiner ganz ähnlichen Rubrik Buch und
Buchhandel im Spiegel der Tagespresse als eine Fundgrube für die
kommunistische Beschäftigung mit Eichendorff. Die DDR-Literatur zu
Eichendorff findet sich, wie auch die Besprechungen der Verfilmungen
des Taugenichts, bei Lick ohnehin ganz besonders unterrepräsentiert.
Ebenfalls unausgewertet geblieben ist die Zeitungsaufsatz-Beilage des
Dietrich.[12] Generell fällt bei Th. Lick, der bei seiner Erfassung der
Eichendorff-Sekundärliteratur dankenswerterweise keine 'untere Grenze'
ansetzt, neben dem nun bereits mehrfach beklagten Mangel an Klasse vor
allem der Mangel an Masse auf: gar zu vieles aus dem
feuilletonistischen Sektor sucht man vergebens. Die Auswertung der
bekannten Zeitungsausschnittsammelstellen in Dortmund und Marbach a.N.
ist zwar keine conditio sine qua non zur Erstellung einer
Personalbibliographie, reichert aber dasjenige Material, das
heutzutage jeder Schüler via Datenbanken und CD-ROM leger ermittelt,
ungemein an.[13]
Neben zahlreichen störenden Schreibfehlern (Nr. 21, 199, 1314, 2448,
2476, 2479, 2490, 2870 - 2872, S. 241: Satieren statt Satiren), die
das ausgebliebene gründliche Korrekturlesen bezeugen, wird im Vorwort
des Buches das Einscannen einer maschinenschriftlichen Vorlage
erwähnt; Grund genug, die Bibliographie hinsichtlich falsch
identifizierter Zeichen zu überprüfen. Stichproben ergeben falsche
Schreibweisen, die ganz evident dem Scannerverfahren zuzuschreiben
sind, mindestens bereits bei den Nummern 1020, 1114, 1229 (Heuschek
statt Heuschele), 1674, 1915 (Gleimitz statt Gleiwitz), 2022, 2053,
2466 (BuchreThe statt Buchreihe), 2732 (gesellschaftstrifische statt
gesellschaftskritische), 2863 und 2920 (Streitzug statt Streifzug).
Nun handelt es sich hier insofern um Lappalien, da aus dem
Sinnzusammenhang die korrekte Schreibweise zumeist sofort ersichtlich
ist. Schwerer mögen die Scannerfehler indes wiegen bei falsch
eingelesenen Zahlen, die unbemerkt bleiben und im Leihverkehr zu
erheblicher Mehrarbeit führen. Solange die OCR-Technik nicht
hinreichend ausgereift ist, führt kein Weg an einem gründlichen
Gegenlesen vorbei.[14]
Vor allem aber muß bemängelt werden, daß ein wichtiger Aspekt der
Eichendorff-Literatur bei Th. Lick völlig unberücksichtigt geblieben
ist: nämlich die Metaebene der wissenschaftlichen Literatur, d.h. die
Rezensionen zur Eichendorff-Forschung mit ihren inhaltlich oft höchst
aufschlußreichen, da berichtigenden Beiträgen.
Eine abschließende Enttäuschung bildet das Nachwort des Bibliographen
und Buchwissenschaftlers, Prof. Hans-Georg Koppitz. Hier hätte man
sich etwa einen vertiefenden Essay zur Situation der bibliographischen
Erschließung Eichendorffs gewünscht oder einen Überblick für den
Wandel der Beschäftigung mit Eichendorffs Leben und Werk, nicht aber
die hier dargebotene Aneinanderreihung von Gemeinplätzen dergestalt,
daß die eminente Häufung von Pressebeiträgen im Jahre 1957 mit dem
100. Todestag des Dichters in Zusammenhang stehe.
Fazit: es reihen sich Unstimmigkeiten, Ungereimtheiten und heterogene
Verfahrensweisen in so bunter Folge aneinander, daß die Bibliographie
allein für spezialisierte Eichendorff-Kenner benutzbar ist, die die
zahlreichen Widersprüchlichkeiten zu erkennen in der Lage sind. Es
gilt für diese Bibliographie, was Horst Meyer (IFB 95-3-319) schon
1995 zur Dissertation Th. Licks bemerkte: empfohlen nicht als
Dokumentation, sondern als Steinbruch. Weder für den Signierdienst
noch für die Informationsvermittlung in einer Bibliothek ist das Werk
zu empfehlen.
Martin Hollender
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