Zum Konzept der von Kurt Kusenberg begründeten, heute von Wolfgang Müller und Uwe Naumann betreuten Reihe Rowohlts Monographien gehörte schon damals zum einen die reiche Ausstattung mit Abbildungen, zum anderen die Integration möglichst vieler Selbstzeugnisse in den Text der Darstellung. Die Abbildungen waren, dem seinerzeitigen Stand der Produktionstechnik entsprechend, durchweg Schwarz-Weiß-Abbildungen. In der jetzt aus Anlaß des Goethe-Jubiläums vorgelegten "überarbeiteten Neuausgabe" sind die Abbildungen durchweg farbig, wie es die vor einigen Jahren vorgenommene Neugestaltung der Reihe jetzt generell vorsieht. Die Grundanlage des Textes, also die Verschränkung der erzählenden Biographie mit zahlreichen Zitaten als Selbstzeugnissen ist geblieben. Das ist die Stärke und Schwäche dieses Bandes zugleich, der unter den kleinen Goethe-Biographien inzwischen manch achtbare Konkurrenz bekommen hat. Aber gerade wegen dieses Ansatzes, der freilich nur einer unter mehreren methodisch legitimen ist, möchte man den Boerner auch künftig nicht entbehren.
Die kleine beigegebene Bibliographie verschweigt die 1999 herausgekommenen Mitbewerber um die Gunst des nach knapper einführender Information suchenden Lesers: Da ist zum einen der frisch geschriebene und in der Machart der Abbildungen der Rowohlt-Monographie äußerlich nahestehende Band, den die Journalistin und Rezitatorin Anja Höfer für die Reihe dtv Portrait geschrieben hat. Abweichend vom Rowohltschen Konzept arbeitet man in den Bänden dieser Reihe zusätzlich mit Patterns im Text oder im Fuß der Seite.
Sodann ist bei Reclam eine deutlich umfangreichere, Überblick und Detail vorzüglich verbindende, zuweilen durch selbständig erarbeitete Urteile brillierende, vor allem aber auch den Wissenschaftler Goethe berücksichtigende Biographie von Karlheinz Schulz erschienen. Hier ist der - überaus lesenswerte - Text alles, die vereinzelt eingestreuten kleinen Bildbeigaben fallen nicht ins Gewicht.
Schließlich hat Christoph Perels, der Direktor des Freien Deutschen Hochstifts/Frankfurter Goethemuseum die Wege des Dichters nachgezeichnet für alle, "die mehr über Goethe erfahren wollen, als ein Lexikon-Artikel bieten kann, die aber - noch - nicht eine der umfangreichen Goethe-Biographien in die Hand nehmen mögen." Äußerlich entspricht der Band in seiner zurückhaltenden Aufmachung und im Verzicht auf Bilder ganz dem auf Solidität und Seriosität ausgerichteten Erscheinungsbild, das allen Büchern aus dem Hause Kohlhammer zueigen ist. (Dort hat man ja auch geduldig das so anspruchsvolle wie verdienstliche Goethe-Wörterbuch inzwischen bis zum Buchstaben G weitergeführt, das Wolfgang Schadewaldt einst als die "Magna Charta für das neuere Deutsch" begründet hatte.) Die Unauffälligkeit des Äußeren läßt nichts davon ahnen, wie vortrefflich sich in diesem Werk die sachliche Unterrichtung, die Berücksichtigung der neueren Forschung im Detail (etwa in der Auswertung der Kommentare der Frankfurter und Münchener Goethe-Ausgabe) und ein flüssiger, zuweilen hinreißend schöner Stil verbinden. Das Wichtigste aber ist, daß Perels zwar der chronologischen Ereignisfolge nach vom Leben des Dichters erzählt, recht eigentlich aber eine "innere Biographie" verfaßt. Man kann den tieferen Blick des Autors schon an den Überschriften erkennen: Was bei Boerner und Höfer Reise nach Italien heißt, bei Schulz immerhin eine Flucht nach Italien genannt wird, das ist bei Perels endlich ein Freies Künstlerleben.
In den Bibliotheken sollte keine der vier hier verglichenen Biographien fehlen.
Etwas zu eilig geschrieben mutet dagegen das Goethe-Bändchen an, das
Irmgard Wagner für Rowohlts Enzyklopädie verfaßt hat, auch wenn es
erst so spät im Goethe-Jahr herauskommt, daß es vom Medienrummel nicht
mehr profitieren kann. Die biographischen Informationen sind nicht nur
allzu knapp gehalten, sondern wiederholt auch fehlerhaft und spiegeln
schon gar nicht den neuesten Stand der Forschung wider. Zum Beleg nur
dies. Wagner schreibt über Goethes römischen Aufenthalt: "[...] er
paßte sich an im Mitgenießen, einschließlich einer sexuellen
Beziehung, seiner ersten, wie die Goetheforschung sich einig ist" (S.
21). Einspruch: Die Forschung ist sich mitnichten einig, vielmehr gibt
Wagner nur unkritisch eine These aus Kurt R. Eisslers Monographie[1]
wieder. Natürlich gerät jeder Autor ins Hintertreffen, der heute über
Goethe und Italien schreibt, ohne für die Darstellung der Fakten die
aus gründlicher Beschäftigung mit den Archivalien hervorgegangene
Arbeit von Roberto Zapperi[2] zu benutzen. Das Buch von Zapperi, das in
der deutschen Version seiner Frau übrigens vor dem italienischen
Original erschienen ist, dürfte zu den wenigen Neuerscheinungen des
Goethe-Jubiläums gehören, die überdauern werden. Ganz unzulänglich ist
die kleine Bibliographie des Rowohlt-Bändchens: Es fehlen dort nicht
nur der neue Zapperi, sondern z.B. auch das erwähnte Werk von Eissler,
das neue Goethe-Handbuch usw. Besser gelungen sind die
interpretierenden Kapitel zu einzelnen Werken, die für den Anfänger
durchaus informativ sind, freilich auch gelegentlich nach Ergänzung
verlangen: Natürlich kann man sagen, in Goethes Neuer Melusine versage
der Mann, der sich mit dem Geld der Geliebten doch ganz wohl befindet,
vor der Aufgabe, sich aus Liebe zu seiner Prinzessin in einen Zwerg zu
verwandeln, nur übersieht eine solche Interpretation, daß der
Protagonist sich durch die Flucht aus der Bindung an eine Zwergin der
Zumutung seiner eigenen Nanufizierung entzieht - was der Autor des
Märchens bekanntlich wiederholt getan hat.
Hans-Albrecht Koch
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