Die einzelnen Kapitel unterrichten knapp und präzise, zugleich aber umfassend. So wird z.B. für die Schiller-Rezeption im italienischen Risorgimento nicht nur auf die Langzweitwirkung der Opern von Gioacchino Rossini (Guillaume Tell, 1829) und Giuseppe Verdi (I masnadieri, 1847, Luisa Miller, 1849) verwiesen, sondern auch auf Giuseppe Mazzinis Schrift Della fatalità considerata come elemento drammatico von 1836, die Schillers Dichtungen als Muster für Verständigungsformen deutet, die das Menschengeschlecht dereinst zur Vervollkommnung führen würden.
Die Kapitel enden jeweils mit bibliographischen Hinweisen, deren
Titelaufnahmen zwar die Vornamen abkürzen, ansonsten aber vollständig
sind. Was das Schiller-Handbuch zu einem Informationsmittel im
höchsten Sinne des Wortes macht, ist ein 120 Seiten starker
Forschungsbericht aus der Feder von Koopmann selbst. Angesichts der
Masse der Schiller-Literatur - nächst Goethe ist über keinen deutschen
Dichter mehr geschrieben worden - begrüßt man gerade diesen Abriß der
Forschungsgeschichte besonders dankbar, der bis dicht an die Gegenwart
heranführt. Die Berichtszeit reicht bis 1996. Überall verbindet sich
hier die hohe Kunst des sachlichen Referats mit der kritischen
Bewertung. So faßt der Herausgeber in der Passage zum Don Karlos auf
einer Dreiviertelseite die vor allem auf die Briefe über Don Karlos
gestützte Kernthese eines Buches von Hans-Jürgen Schings[1] zusammen,
das bei seinem Erscheinen einiges Aufsehen erregt hatte: Mit Blick auf
den Illuminatismus habe Schiller die Konzeption des Don Karlos
geändert, den Marquis Posa zum Illuminaten umgestaltet und ihn zum
Muster eines um der Durchsetzung seiner Ideen willen nach Herrschaft
strebenden Intellektuellen gemacht, zum Despoten aus aufklärerischer
Absicht. Koopmanns Bedenken, ob Schings die von Schiller "selbst als
notdürftige Verteidigungsschrift in der Frage der Einheit des Dramas"
verfaßten und vorwiegend dramaturgisch gemeinten Briefe über Don
Karlos nicht in politischem Sinne überinterpretiere, damit auch den
Einfluß der Illuminaten zu hoch bewerte, ist fair von dem Referat
abgesetzt und leuchtet - da Schings mit dem Anspruch, seine
Interpretation reiche den exklusiven Schlüssel zum Verständnis des Don
Karlos, seine Studie unnötig angreifbar macht - auch dann noch ein,
wenn man die zum Beleg des Einwands herangezogene ältere Arbeit von
Benno von Wiese längst nicht so überzeugend findet wie die konzise
Untersuchung von Schings. Möge sich die Germanistik von dem Modell des
Koopmannschen Textes ermutigen lassen, auch anderen Autoren derartig
hilfreiche Forschungsberichte zu widmen. Der Bedarf an solchen
Wegweisern durch eine immer unübersichtlicher werdende
Forschungslandschaft ist groß.
Hans-Albrecht Koch
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