Von größerem Nutzen dürften für das studentische Zielpublikum die Essays zu einzelnen Themenbereichen sein, die meist fünf bis zehn Seiten umfassen. Sie lassen sich überwiegend als ausführlichere Lexikonartikel charakterisieren und sind jeweils mit einer knapp kommentierten Auswahlbibliographie versehen. In den meisten Fällen wird bei den Literaturhinweisen nach Quellentexten und Sekundärliteratur unterschieden. Dabei sind nicht-englischsprachige Arbeiten (im wesentlichen bis zum Erscheinungsjahr 1994) meist in angemessener Weise berücksichtigt. Jede Literaturangabe ist mit einer Sigle gekennzeichnet, die sich aus einer Buchstabenkombination für das Kapitel und einer fortlaufenden Zählung innerhalb jedes Kapitels zusammensetzt. Mit diesen Siglen wird gegebenenfalls in abgekürzter Form auf entsprechende Angaben in thematisch benachbarten Kapiteln hingewiesen; außerdem wird im Autoren- und Werkregister auf sie, nicht aber auf Seitenzahlen verwiesen.
Die sprachwissenschaftliche Abteilung umfaßt acht konzise Beiträge, u.a. zu den Themen Orthographie, Syntax, Wortbildung, zur Metrik, Kunstprosa und zum humanistischen Latein. Die 38 bildungs- und kulturgeschichtlichen Artikel unter der Überschrift Varieties of medieval latinity gliedern sich überwiegend nach Unterrichts- bzw. Studienfächern wie Grammatik, Musik, Rechtswissenschaften, Medizin und Theologie/Philosophie, decken aber auch die naturwissenschaftlichen, handwerklichen und kunstgewerblichen Disziplinen ab. Außerdem werden der für das Mittelalter maßgebliche Einfluß des Christentums, besonders der Bibel und der Liturgie, sowie Aspekte der kirchlichen und weltlichen Verwaltungspraxis und des Urkundenwesens behandelt. Ein etwas ausführlicherer Beitrag von Richard Sharpe gilt der interessanten Frage nach Latin in everyday life (S. 315 - 341). In 27 Essays wird die mittellateinische Literatur vorgestellt, wobei eine Untergliederung nach Gattungen für die wünschenswerte Übersichtlichkeit sorgt. Summarische Überblicksartikel gelten zum einen den Bedingungen, Möglichkeiten und Zielen mittelalterlicher Autoren und Rezipienten, zum anderen der Literatur der Spätantike. Im Vergleich zu Früh- und Hochmittelalter erscheinen das Spätmittelalter und der Humanismus relativ schwach repräsentiert; den Namen Boccaccio sucht man im Register beispielsweise vergeblich. Abschließend wird die Bedeutung mittelalterlicher Übersetzungen und des Austauschs mit der hebräischen, griechischen, arabischen und volkssprachlichen Literatur behandelt.
Medieval Latin ist erfreulich gut redigiert und arm an Druckfehlern. Als aktuelle Einführung in die lateinisch geprägte mittelalterliche Kultur- und Literaturgeschichte steht der Band nahezu konkurrenzlos da und wird sich für "Einsteiger" als brauchbares Hilfsmittel erweisen.
Christian Heitzmann