Die Artikel betreffen: Architekten und Architektengruppen, Strömungen
und Zusammenschlüsse[4] sowie einzelne Länder mit der Darstellung ihrer
Architekturgeschichte. Bei den Architekten wurden jene "ausgewählt,
die jeweils zum ersten Mal oder zumindest besonders früh eine
besonders eigenständige Position besonders radikal formuliert haben"
(Vorwort). So streng, wie der Herausgeber es hier ausdrückt, hat man
die Auswahl glücklicherweise doch nicht getroffen. Es sind jetzt 392
Architekten (261 in der Ausg. 1983) verzeichnet, darunter 6
Architektinnen,[5] 17 (13) Architekturbüros, 50 (43) Strömungen und
Zusammenschlüsse, 26 (17) Länderdarstellungen sowie 1 Sachbegriff
(Charta von Athen). 1983 gab es noch einen weiteren Sachbegriff -
Modulor (ein Proportionssystem) -, der jetzt weggefallen ist. Dieser
Zahlenvergleich macht bereits die Erweiterung ersichtlich. Die älteren
Beiträge wurden überarbeitet, einige gestrichen, die Literaturhinweise
aktualisiert und häufig die Abbildungen durch andere, auch neuere
ersetzt. Der geographische Schwerpunkt (für die Länderberichte) liegt
in Europa: neben den Berichten über 17 europäische Länder gibt es
Beiträge über die Architekturentwicklung in Argentinien, Australien,
Brasilien, China, Israel, Japan, Mexiko, in der Türkei und in den
USA.
Die Personenartikel nennen Namen und Vornamen,[6] Geburtsjahr und -ort,
Sterbejahr und -ort, häufig auch Angaben zur Ausbildung; ansonsten
beziehen sie sich nur auf das architektonische Wirken. Die
Literaturangaben nennen überwiegend Monographien, vereinzelt auch
Zeitschriftenaufsätze (bei diesen fehlt leider mehrfach die
Seitenangabe). Der Hauptteil des Lexikons enthält nur eine einzige
Verweisung, nämlich die von Werkbund auf Deutscher Werkbund, von
Doppelnamen oder mehrteiligen Namen wird nicht verwiesen; ebensowenig
wird bei Akronymen von der Langform verwiesen (MARS ohne Verweisung
von Modern Architectural Research Group, M.I.A.R. ohne Verweisung von
Movimento Italiano per l'Architettura Razionale u.a.). In den
Beiträgen über Gruppen oder Architekturbüros sind deren Mitglieder
namentlich aufgeführt, es haben aber nicht alle einen eigenen Artikel
bekommen und sind nur über das Namenregister zu finden. Dieses enthält
alle in den Texten vorkommenden Personennamen (ca. 2250), auch die von
Nicht-Architekten, sowie einige Namen von Gruppen, aber gleichfalls
nur wenige Verweisungen. Die zahlreichen Doppelnamen und mehrteiligen
italienischen, spanischen oder amerikanischen Familiennamen hätten
dringend der Verweisungen bedurft. Einige Flüchtigkeitsfehler und
Inkonsequenzen fielen auf: z.B. steht im Hauptteil der Artikel unter
Gaudí y Cornet, Antoni, im Register heißt er schlicht Gaudi, Antoni,
Hinrich und Inken Baller stehen im Register unter Boller, bei ATBAT
fehlt die Seitenzahl 193, Jeanneret, Charles-Edouard ist vor
Jeanneret, Albert eingeordnet usw. Wie schon bei einem anderen
Architekturlexikon beklagt[7] fehlen auch hier weitere Register: so von
den im Text erwähnten zahlreichen Körperschaften und Vereinigungen,
ein Verzeichnis aller zitierten Bauwerke oder zumindest der
abgebildeten Bauwerke und ein Verzeichnis der Sachbegriffe.
Letztgenanntes wäre hier besonders wichtig, da nur die wichtigsten
Stilrichtungen und Strömungen mit eigenen Artikeln vertreten sind.
Schlampigkeiten begegnen auch bei den mit Pfeilen markierten
Verweisungen im Text: historische Starrheit (S. 129) gibt es nicht als
Artikel, gemeint ist wohl Historismus; statt rationalistisch geprägte
Stijl-Gruppe (S. 88) oder rationalistische Formensprache (S. 170) gibt
es nur die Artikel Rationale Architektur und Rationalismus.
Bei den Länderdarstellungen (Umfang zwischen 1 und 12 Seiten) hätte
auch der DDR ein eigener Beitrag gebührt. Sie wird nur im Artikel
Deutschland mit zwei kurzen Absätzen bedacht, erwähnte Bauwerke sind
die Berliner Stalin- bzw. Karl-Marx-Allee, das Staatsratsgebäude und
der Palast der Republik. Es gibt keine Abbildungen und keine
Literaturhinweise.[8] Der einzige Architekt aus der DDR mit eigenem
Artikel ist Henselmann (mit der Abbildung einer Entwurfszeichnung).
Das ist zu wenig, vor allem wenn auch Länder wie Portugal, dessen
modernes Baugeschehen nicht sehr herausragend war, in einem eigenen
Beitrag abgehandelt werden. Insgesamt sind die Länderartikel aber sehr
informativ, so daß man sich noch weitere gewünscht hätte, nämlich auch
für solche Länder, aus denen keine großen Innovationen für die
Weltarchitektur kamen, z.B. für Kanada, Afrika oder Hongkong; auch die
neuere islamische Architektur ist beachtenswert.
Bei den ca. 50 Architekturströmungen und -theorien vermißt man einen
zusammenfassenden Beitrag über die Nationalsozialistische bzw.
Faschistische Architektur, lediglich unter Deutschland findet sich ein
Absatz. Aus der jüngsten Zeit fehlt völlig der Themenkomplex des
"Energiebewußten Bauens", eine Entwicklung, welche die Architektur
bereits stark beeinflußt hat. Baustoffe, Tragsysteme und Bauweisen des
20. Jahrhunderts, die viele Strömungen erst ermöglicht haben,
erscheinen nur kurz bei den anwendenden Architekten. So wie bei den
einzelnen Stilrichtungen deren Entwicklung und Hauptvertreter genannt
werden, wäre es sinnvoll gewesen, unter eigenen Stichwörtern die
Entwicklung unter technischen Gesichtspunkten darzustellen, vor allem
auch die Erfindungen des 20. Jahrhunderts (Aluminium, Kunststoffe,
Textilien, Schalen, pneumatische Architektur, Raumzellen usw.). Die
früheste Ausgabe von 1963 bot unter den Stichwörtern Curtain Wall,
Glas, Präfabrikation, Schalenkonstruktionen, Stahl, Stahlbeton und
Tragwerk bereits solche Beiträge; obwohl der Herausgeber im Vorwort
der Ausg. 1983 die Bedeutung der Baumaterialien anerkennt, begründet
er dort nicht, warum sie herausgenommen wurden. Mehrere derartige
Stichwörter wären eine Bereicherung und da ein Sachregister fehlt und
ein Laie sicher nicht immer den Namen des Protagonisten parat hat,
wird er vergeblich suchen. Die letzten 20 bis 30 Jahre sind
gekennzeichnet von einer Vielzahl von Architekturen (z.B.
Wegwerf-Architektur, Alternative Architektur, Konzeptionelle
Architektur, Utopische Architektur), deren Einordnung in die
Architekturgeschichte wohl nicht nur dem Laien schwerfällt; auch hier
wäre man für eine Erläuterung und kompetente Einschätzung dankbar, wie
sie zuvor für die einzelnen Architekten gegeben wurde.
Aus den vorgenannten Gründen ist dieser Band kein Lexikon zur
schnellen Information über architektonische Sachverhalte oder Fakten,
es ist auch kein biographisches Lexikon, dafür sind die Angaben zu den
Personen zu vage. Es ist eine Geschichte der Architektur in
lexikalischer Form, bei der das architektonische Werk Einzelner im
Mittelpunkt steht. Die wichtigen, das Bauen im 20. Jahrhundert
prägenden Architekten sind berücksichtigt und ein besonderer Wert
liegt darin, daß ihr jeweiliges Umfeld, ihre stilistische Einordnung
und Bedeutung innerhalb der Architekturgeschichte dokumentiert worden
ist. Es handelt sich um eine komprimierte Darstellung der Architektur
unseres Jahrhunderts, ein solides Werk zu einem akzeptablen Preis,
gleichermaßen für wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken
geeignet.
Angelika Weber
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