Ungewöhnlich für eine Enzyklopädie ist der Aufbau. Herausgeber und
Editorial Board haben von einer durchgehenden alphabetischen Anordnung
abgesehen, da man sachlich Zusammengehöriges nicht trennen wollte.
Dennoch sollten alle Eintragungen schnell aufzufinden sein. So
entschloß man sich zu einem einführenden Teil Theories and Principles,
zugleich Bd. 1, gegliedert nach Sachbegriffen/Sachverhalten, und einem
Teil Cultures and Habitats, den Fallstudien, umfassend die Bd. 2 und
3, gegliedert nach Naturräumen und Baustilen. Bd. 1 beginnt mit der
Vorstellung des Editorial Board und den Beigaben Preface,
Acknowledgements, Using EVAW, Contributers, List of Maps und
Introduction. Hier erfährt man die Namen der Mitarbeiter, den Aufbau
der Kapitel,[1] die Zitierregeln[2] und Besonderheiten der Schreibweisen.
So gilt für die unterschiedlichen Schreibweisen der Örtlichkeiten,
Kulturkreise oder Sachbegriffe bevorzugt die englischsprachige
Benennung, gibt es keine, wird die originale Namensform benutzt. Es
ist aber vielfach die Originalbenennung zusätzlich angegeben und auch
im Register aufgeführt. Für geographische Namen wurde der Times atlas
of the world[3] zugrunde gelegt. Der Titelei folgt ein sehr
ausführliches Inhaltsverzeichnis und erst auf den zweiten Blick
bemerkt man, daß auf allen Hierarchie-Ebenen streng alphabetisch
geordnet wird. So heißen die Sektionen Approaches and Concepts;
Culture Traits and Attributs; Environment; Materi- als and Building
Resources; Production; Services; Symbolism and Decoration; Typologies;
Uses and Functions. Jede Sektion ist in Kategorien unterteilt, die
ebenfalls wieder alphabetisch nach ihren Überschriften geordnet sind;
so gibt es z.B. unter der Sektion Environment die Kategorien Climate;
Location and Site; Natural Disasters; Population; Settlement;
Territory. Deren jeweilige Untereintragungen erscheinen wiederum in
alphabetischer Folge: z.B. gliedert sich die Kategorie Climate in
Arctic and subarctic; Continental; Desert; Maritime; Mediterranean;
Monsoon; Montane; Subtropical; Tropical. Inhaltlich beschäftigt sich
der erste Teil mit Gedanken zur Vernacular architecture u.a. aus
archäologischer, ökologischer, ethnographischer oder museologischer
Sicht, untersucht Tagesablauf, Familienformen, Ernährung, Sprache,
Religon und Tradition, beschreibt die Einflüsse von Klima,
Topographie, Naturkatastrophen, Bevölkerung, Siedlungsformen und
Territorium, nennt die Baustoffe bzw. die als Baustoffe benutzten
Materialien, die Baukonstruktionen, Bauteile und Techniken ihrer
Herstellung, schildert Versorgungssysteme wie Kochen, Heizen,
Sanitäranlagen, Lüften, Kühlen und Wasserversorgung, geht auf die
baulichen Schmuckelemente, ihre Motive und Bedeutungen ein und
klassifiziert nach Bauformen und Gebäudearten. Alle Kapitel sind mit
Beispielen angereichert, was insbesondere für die modernen Arten von
Volksarchitektur wichtig ist, die keinem bestimmten Gebiet mehr
zugeordnet werden können, da man sie in Deutschland ebenso findet wie
in Kalifornien oder Afrika, z.B. Bauwerke aus Recyclingmaterial,
Getränkedosen oder Autoreifen.
In den Fallstudien von Bd. 2 und 3 werden vor allem Wohnunterkünfte
dargestellt. Alle Sektionen und ihre Unterordnungen erscheinen
ebenfalls wieder in alphabetischen Folgen. Die oberste Gliederung ist
nach Kontinenten bzw. großräumigen Einheiten: Asia, East and Central;
Australasia and Oceania; Europe and Eurasia; Mediterranean and
Southwest Asia; Latin America; North America; Sub-Saharan Africa.
Innerhalb der Großräume ist die Unterteilung nicht nach politischen
Gebilden, sondern zunächst nach Naturräumen, Beispiel Europe and
Eurasia mit den Regionen Alpine; Baltic and Finland; British Isles;
Central Europe; Gallic; Germanic; Lowlands; Nordic; Russia; Ukraine,
Belarus and Eastern Europe. In der dritten Gliederungsebene erscheinen
dann die einzelnen Baustile. Um zu verdeutlichen, daß es um die
Stilart geht und nicht um das (evtl. gleichnamige) Staats- oder
Verwaltungsgebiet, wurden die Benennungen bevorzugt in adjektivischer
Form angegeben (Burgundian anstelle Burgundy). Das ist von Vorteil,
wenn es sich um grenzüberschreitende Bauweisen handelt oder in einem
Gebiet mehrere Stilarten auftreten, Beispiel Naturraum Alpine
umfassend Bernese Oberland; Franche Comté; Graubünden; Liechtensteiner
(!); Slovenian; Styrian; Ticino; Trentino; Tyrolean; Valais.
Es ist erstaunlich, wie sich alles offenbar so leicht in eine
alphabetische Ordnung fügt. Bei näherer Betrachtung bemerkt man doch
die Zugeständnisse, die dieser Ordnung wegen gemacht werden müssen,
z.B. im Bd. 1: Dovecot und Pigeon Tower (S. 708/709 und 714) gehören
zusammen; auf S. 685 heißt es Granary: rice und auf S. 715 Rice
granary; hier werden sowohl gleichartige Gebäude getrennt als auch
unterschiedliche Formen der Benennung gewählt. Mehrfach gibt es
Doppelstellen, einige unter Economic aufgeführte landwirtschaftliche
Gebäudearten (z.B. Granary, Barn) erscheinen ein weiteres Mal bei den
Farm Buildings. Vor allem in den Sektionen Production, Services und
Uses and Functions wird mehrfach Zusammengehöriges getrennt. In den
Bd. 2 und 3 (Kontinente) wäre die Anordnung der räumlichen Einheiten
und Baustile nach Nord-Süd- oder Ost-West-Abfolge wohl sinnvoller
gewesen, zumal sich benachbarte Regionen in ihren Lebens- und
Bauweisen doch gegenseitig beeinflußt haben. So stutzt man, wenn unter
Germanic zunächst Alsatian und Austrian aufgeführt sind und das
(Schweizer) Mittelland zwischen Mecklenburg und Saxony erscheint. Die
alphabetische Folge ist dennoch öfters durchbrochen, z.B. bei
Austrian, Lower // Vineyard // Austrian, Upper; hier wurde aber
vermutlich nur vergessen, die beabsichtigte Unterordnung darzustellen,
die sich aus der "entry structure" ablesen läßt. In analogen Fällen
ist der Oberbegriff wiederholt und mit Doppelpunkt der untergeordnete
Begriff angeschlossen, so sollte die o.a. Reihenfolge sicherlich
Austrian, Lower // Austrian, Lower: vineyard //Austria, Upper heißen,
oder Orkney // Shetland // Östersjön war als Orkney // Orkney:
Shetland // Östersjön gedacht.
Den Abschluß des Werkes bilden Glossare, Bibliographie und Register:
ein Glossary, in dem ca. 1000 Begriffe aus den verschiedenen
Fachgebieten erläutert werden; ein Comparative Lexicon mit ca. 330
Begriffen vor allem aus der Bautechnik und ihren Übersetzungen ins
Französische, Deutsche, Italienische, Spanische, Portugiesische und
Arabische; ein Index of Cultures and Habitats, Nations and Locations
als systematisches Register, in dem unter dem jeweiligen Eintrag oft
Sachbegriffe oder Hinweise auf verwandte Kulturkreise folgen; und ein
General Index, in dem - ausgehend von den Sachbegriffen - die
zugehörigen Orte und Kulturen subsummiert sind und auf verwandte
Sachbegriffe verwiesen wird. Die umfangreiche Bibliographie mit ca.
9000 Titeln stellt das Verzeichnis der benutzten Literatur dar. Sie
ist nach den Sektionen unterteilt und führt sowohl selbständige als
auch unselbständige Literatur auf; manche Titel wurden mehrfach
genannt, wenn sie für mehrere Sektionen gelten (darauf weist der
Herausgeber eingangs hin). Die Titelbeschreibungen beginnen mit dem
Verfassernamen und Erscheinungsjahr, wie sie auch in den Hauptteilen
zitiert wurden, dann folgt der Sachtitel mit den übrigen Elementen der
Titelbeschreibung. Leider hält man sich nicht an die zuvor genannten
Richtlinien des Harvard Style, so daß die bibliographische
Beschreibung vielfach sehr dürftig ist: unverständliche Titel wegen
fehlender Angaben, nicht verstandene Abkürzungen[4] oder
Zeitschriftentitel; bei Einzelbeiträgen aus Mehrverfasserwerken fehlt
fast immer die Seitenangabe, bei Zeitschriftenaufsätzen daneben sogar
Band- und Jahresangabe. Bei Monographien gibt es keine Umfangsangaben,
Rechtschreibfehler wurden vor allem in deutschsprachigen Titeln
bemerkt, mehrfach genannte Titel haben unterschiedliche Titelaufnahmen
usw. Irreführend ist es, Titel ins Englische zu übersetzen und damit
dem Leser eine englischsprachige Ausgabe vorzugaukeln, die es nicht
gibt.[5] Wer sich die zitierte Literatur besorgen möchte, bedarf sicher
in vielen Fällen der Unterstützung durch phantasievolle und erfahrene
Bibliotheksmitarbeiter.
Der Text ist in allen drei Bänden zweispaltig mit sehr breiten
Bundstegen, in die Ergänzungen eingedruckt sind, wie Hinweise auf
verwandte Kapitel, weiterführende Literatur und Bildunterschriften. In
jedem Band ist das vordere und hintere Vorsatz mit der Weltkarte
bedruckt, auf der die Gliederung des zweiten, geographisch geordneten
Teils ersichtlich ist. Vor jedem Kapitel (main entry) gibt es eine
weitere Karte des nachfolgend behandelten Gebietes. Die Illustrationen
sind reichhaltig: Schwarzweiß-Photos, überwiegend spaltenbreit 8 - 10
cm, dazu zahlreiche Zeichnungen und Pläne, die fast immer von der Hand
der Autoren stammen. Die Konstruktionszeichnungen sind als räumliche
Darstellungen sehr anschaulich und auch für Laien verständlich, die
Skizzen mit Phantasie und Witz ausgeführt und präsentieren sich
manchmal als kleine Meisterwerke. Vielen Plänen wurde ein Maßstab
beigegeben, doch fehlen öfter die Maßeinheiten, z.B. auf den Seiten
284, 285, 933, 994. Spezielle Maßeinheiten sollten nicht abgekürzt
werden, z.B. im Abschnitt Japan (S. 998 - 1001) die Angaben in K,
gemeint ist vermutlich K=Ken (diese Einheit wird auf S. 999 im Text
erwähnt).
Was findet ein Leser über Deutschland in der EVAW? Zunächst sind 18
Mitarbeiter als Angehörige einer deutschen Institution bzw. als
(Privat?-)Person mit deutschem Wohnort angegeben, und acht von ihnen
haben die Deutschland betreffenden Beiträge verfaßt.[6] Die deutschen
Bauweisen sind unter Germanic aufgeführt, neben den bereits genannten
Alsatian, Austrian und Mittelland gibt es Kapitel über Bavarian,
Franconian, Hessen, Lower Saxon (mit Unterabschnitt hallhouse),
Mecklenburg, Saxony (mit Unterabschnitt timber framing),
Schleswig-Holstein, Swabian und Westfalian, im Gesamtumfang von 20 S.
Der bibliographische Teil Europe and Eurasia umfasst ca. 700 Titel,
davon beziehen sich knapp 60 Titel auf deutsche Gebiete. Auf eine noch
lebendige deutsche und österreichische Volksarchitektur wurde jedoch
nicht eingegangen: die Gartenlaube oder das Gartenhaus.[7] Mittlerweile
zwar auch reglementiert durch Bauvorschriften und Satzungen der
Kleingartenvereine, hat hier der Besitzer noch Möglichkeiten, seine
Vorstellungen selbst zu verwirklichen.
Die EVAW versucht eine ungewöhnliche lexikalische Darstellung, die
zwar nicht ganz so einfach zu benutzen ist wie eine übliche
A-Z-Anordnung, dafür aber - besonders im ersten Teil - zum Weiterlesen
animiert. Der Text ist auch für Leser mit durchschnittlichen
Englischkenntnissen verständlich, die umfassende Bibliographie bietet
für alle betrachteten Gebiete weiterführende Literatur, ausführliche
Inhaltsübersichten und Register ermöglichen den direkten Einstieg,
Querverweisungen im Text stellen Zusammenhänge her, und die Glossare
helfen bei Verständnisproblemen. Das Werk gibt einen sachkundigen
Überblick über das traditionelle, volkstümliche Bauen in der Welt. Es
wird sich, da es nicht veraltet, zu einem Standardwerk entwickeln.
Auch wenn der Preis nicht gerade volkstümlich[8] ist, kann einer
Erwerbung zugeraten werden.
Angelika Weber
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