Der von der Forschung weitgehend vernachlässigte Bereich der Vorlagenwerke des 19. und 20. Jahrhunderts - Einzeluntersuchungen zum Thema sind dem klassischen Ornamentstich vorbehalten (15. Jh. - 18. Jh.) - wurde 1997 gleich in zwei sehr unterschiedlichen Publikationen von Claudia Grund und Dietrich Schneider-Henn bearbeitet.
Claudia Grund hat sich zur Aufgabe gestellt, diese Vorlagenwerke mittels einer kritischen Bibliographie zu erschließen und zu besprechen. Diese 1994 an der Universität Eichstätt zugelassene Dissertation erscheint als Bd. 2 der Kataloge der Graphischen Sammlung der Universitätsbibliothek Eichstätt. Ausgesprochenes Ziel dieser Dissertation ist es, zu einem umfassenderen Bild von deutschsprachigen zur Neugotik und -romanik in Beziehung stehenden Druckgraphikvorlagen beizutragen, einem im übrigen sehr speziellen und kaum bearbeiteten Gebiet der Historismusforschung. Die in vier Teile gegliederte Arbeit weist zunächst auf die verschiedenen Fragestellungen hin, mit denen sich die Forschung beschäftigt. Sie definiert dann den Begriff Vorlagenwerk, um anschließend, nach Gattungen getrennt, thematische Fragen zu erörtern. Dabei läßt die Autorin die im Zusammenhang mit der Erarbeitung der Bibliographie gewonnenen Erkenntnisse geschickt einfließen. Der Hauptteil der Arbeit, Abschnitt IV, ist einem insgesamt 250 Werke umfassenden Katalog vorbehalten, der, ganz der Tradition der klassischen Ornamentstichkataloge gemäß, chronologisch geordnet ist: in Bibliotheken nachgewiesene und aus eigener Anschauung zur Kenntnis gelangte Vorlagenwerke bilden den ersten Teil (Nr. 1 - 210), dem lediglich aus der Sekundärliteratur bekannte Publikationen folgen (F1 - F40). Ein Literaturverzeichnis, verschiedene Register und ein knapp gehaltener Abbildungsteil (20 Tafeln) runden die Publikation ab.
Die Bibliographie basiert im wesentlichen auf der Auswertung von GV alt, BLC und NUC. Die dort gewonnenen Angaben wurden dann an den Originalexemplaren überprüft und gegebenenfalls ergänzt. Der Nachweis beschränkt sich jedoch nach Angaben der Autorin lediglich auf die bayerischen Zentral- und Verbundkataloge, ergänzt um die in Zettelkatalogen nachgewiesenen Bestände der BSB München, des Zentralinstituts für Kunstgeschichte München, des Bayerischen Nationalmuseums München, der Landesgewerbeanstalt Nürnberg und der Kunstbibliothek Berlin (S. 59). Es ist einsehbar, daß im Rahmen einer Dissertation kein Nachweis für Gesamtdeutschland erbracht werden konnte. Für die in den o.g. Bibliotheken nicht nachweisbaren 40 Werke (Katalognrn. F 1 - F 40) hätte sich aber eine bundesweite Recherche mittels Fernleihe sowie ein Besuch in der Bibliothek des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg durchaus angeboten.
Der Aufbau des Katalogs, der zwischen 1800 - 1900 erschienene Drucke mit eindeutiger Vorlagenfunktion für die Kunst von Neuromanik und -gotik verzeichnet, ist einheitlich: Die bibliographische Beschreibung wird um Angaben zu Ausführung, bibliographischen Nachweisen, Bibliotheksnachweisen und um das jeweils konsultierte Exemplar ergänzt. Der Titelaufnahme folgt ein Kurzkommentar, der weiterführende Angaben zu Autor ggf. Künstler sowie Informationen zu Thema, Gestaltung und Bedeutung des jeweiligen Vorlagenwerks bereithält. Abgeschlossen werden die Katalogbeiträge durch weiterführende Literaturangaben, die man sich zur besseren Lesbarkeit zumindest um eine Leerzeile getrennt vom Textblock positioniert gewünscht hätte. Auf die Einordnung der Veröffentlichungen in den stilgeschichtlichen Kontext, worauf die Autorin auch selbst hinweist, wurde hingegen weitgehend verzichtet.
Blättert man durch den Katalog, so entpuppt sich der auf einen
Bestandskatalog hindeutende Untertitel Eine kritische Bibliographie
auf der Grundlage der Bestände der Universitätsbibliothek Eichstätt
jedoch als Augenwischerei. Von den stichprobenartig durchgesehenen
ersten 30 Katalognummern besitzt die UB Eichstätt lediglich 2, die
Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg weist zum
Vergleich 22 dieser 30 Titel nach. Inhaltlich beschränkt sich die
Bibliographie zurecht nicht nur auf "reine" Musterbücher und
Ornamentstichsammlungen, sondern berücksichtigt auch kunsthistorische
Publikationen, Ansichtswerke und Kunstdenkmälerinventare, sofern sie
Vorlagencharakter haben. Dies ist v.a. bei Werken gegeben, die sich
weitgehend den Stilformen der Romanik und Gotik widmen - tatsächlich
handelt es sich bei dem Großteil der in der Bibliographie
verzeichneten Werke um Topographien zur mittelalterlichen Architektur
- oder bei Veröffentlichungen, deren Abbildungen romanische oder
gotische Artefakte bzw. moderne historisierende Kunstwerke
wiedergeben, die sich der mittelalterlichen Formenwelt bedienen.
Vollständigkeit wurde in der Bibliographie nicht erreicht. So fehlt
bspw. das wichtige Inventarwerk von Ferdinand von Quast (1807 - 1877),
dem ersten Konservator der preussischen Denkmalpflege, Denkmale der
Baukunst in Preussen,[1] das als Inventarwerk der Baukunst ganz Preußens
konzipiert war, aber über die topographische Erfassung der nurmehr
historischen Landschaft des Ermlands (Ostpreußen) mit seinen
mittelalterlichen Baudenkmälern nicht hinausgekommen ist.
Im Literaturverzeichnis (S. 337 - 344) fehlen einige wichtige Titel.[2]
Trotz der angesprochenen Mängel hilft diese Dissertation, eine Lücke
in der Forschungsliteratur zu schließen. Gleichwohl ist man auf die
von der Kunstbibliothek Berlin in Aussicht gestellte Aufarbeitung
ihres Gesamtbestandes an Vorlagenwerken ob der Vielzahl und Qualität
ihrer Bestände (ca. 2000 Titel) gespannt.
Johannes Pommeranz
Einer knappen, reich bebilderten Einleitung (S. 5 - 23) läßt Dietrich
Schneider-Henn in seinem Beitrag zu Vorlagenwerken, der den Zeitraum
von 1790 - 1965 umfaßt, einen chronologisch geordneten,
querschnittartig ausgewählten Abbildungsteil (in Farbe) folgen. Dem
schließt sich der bibliographische Hauptteil an, in dem auf ca. 100
dreispaltig bedruckten Seiten 515 Einzelwerke beschrieben und zur
Veranschaulichung jeweils mit einer Schwarzweiß-Abbildung illustriert
sind. Die Seitenzählung ist im bibliographischen Teil unterbrochen und
setzt erst im Anhang wieder ein. Offenbar wollte man den im
Durchschnitt fünf Katalognummern pro Seite nicht auch noch eine
Seitenzählung zufügen. Die Abbildung steht dabei i.d.R. über dem
jeweiligen Katalogisat, das sich aus einer bibliographischen
Kurzbeschreibung und einem knappen Katalogtext zusammensetzt. Dieser
enthält häufig Kennerschaft verratende Informationen zu Inhalt und
Künstlern bzw. Herausgebern des jeweiligen Werkes. Den Anhang bilden
Titel- und Namenregister sowie ein Verzeichnis der abgekürzt zitierten
Literatur (S. 175). Ein weiterführendes Literaturverzeichnis fehlt
leider. Was der Autor unter Vorlagenwerk versteht, bleibt
unausgesprochen. Dabei hätte es durchaus einer Definition bedurft.
Denn zum einen stehen terminologisch Vorlage, Vorbild, Musterbuch und
Ornamentstich in der Forschungsliteratur gleichberechtigt
nebeneinander, zum anderen haben die zahlreichen topographischen
Untersuchungen zur mittelalterlichen Architektur mit ihren
detaillierten Zeichnungen des Bauornaments, die vom Autor in seinem
Katalog unberücksichtigt bleiben, Vorlagencharakter. Positiv gesehen,
ergänzen sich somit die Arbeiten von Grund und Schneider-Henn.
Die Notwendigkeit zur Ornamentation, die erst seit Anfang des 20. Jhs
negiert wird, wurde im Historismus noch nicht in Frage gestellt. Die
Rolle, die Adolf Loos dabei spielte, wird vom Autor klar
herausgestellt. Offenbar wurde aber versäumt, sich mit den
verschiedenen Schriften von Barbara Mundt zum Historismus
auseinanderzusetzen, die dem Autor bei seinem offensichtlichen Bemühen
um die Theorie des Ornaments sicherlich geholfen hätten. Die
Einleitung ist mitunter schwer lesbar, weil getroffene Aussagen durch
lange Aufzählungen von Katalognummern, die man besser in die
Anmerkungen verbannt hätte, untermauert werden. Es bleibt auch
ungeklärt, um was für eine Sammlung es sich eigentlich handelt: die im
Rahmen seines Berufs als Münchener Auktionator aufgebaute
Privatsammlung? Erscheint die Anzahl der über 500 zusammengetragenen
Einzelwerke auf den ersten Blick durchaus beachtlich, so schätzt
Schneider-Henn die Gesamtzahl auf "um ein mehrfaches umfangreicher ...
als der ... Berliner Katalog (5.500 Titel) zum klassischen
Ornamentstich" (S. 6) ein. Ist der Katalog von Grund durch die
zeitliche und thematische Begrenzung hochspeziell, so gleicht sein
Pendant einem Gemischtwarenladen: französische, deutsche (die beiden
Schwerpunkte), aber auch englische, dänische, italienische und
asiatische Vorlagenwerke zu Architektur, Malerei, Plastik und
Kunstgewerbe stehen neben-, unter- und übereinander. Es verwundert
daher nicht, daß bei diesem Neuland betretenden Katalogversuch Lücken
auftreten.[3] Insgesamt ist diese Arbeit eher für den Sammler denn für
den Wissenschaftler brauchbar.
Johannes Pommeranz
Da sich die beiden vorstehend besprochenen Verzeichnisse auf das 19.
und 20. Jahrhundert beschränken, sei ein kurzer Hinweis auf den
ungezählten ersten, die italienische Renaissance behandelnden Band des
neuen Inventars[4] der Ornamentstichsammlung des Victoria & Albert
Museums angeschlossen, die sich mit ihren ca. 35.000 Blättern vom 15.
bis 19. Jahrhundert leicht mit der Ornamentstichsammlung der
Kunstbibliothek in Berlin messen kann (der Katalog der letzteren von
1939 gehört zusammen mit dem des Rijksprentenkabinets von 1988 zu den
stets zitierten Quellen im vorliegenden Katalog). Im Gegensatz zu der
seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert befolgten Praxis, die Blätter
nach dem Namen der Künstler (ersatzweise der Stecher oder Verleger) zu
ordnen, wählt der vorliegende Katalog eine Ordnung nach dem
dargestellten Inhalt (was auch die im 16. Jahrhundert übliche Ordnung
war), und zwar in zwei Abteilungen: 1. reines Ornament (unterteilt
nach 10 Gruppen, von Alphabeten über Grotesken und Masken bis zu
Trophäen) und 2. angewandtes Ornament (z.B. in der Architektur, auf
Waffen und Rüstungen, Vasen u.a.) Die insgesamt 71 Katalogeintragungen
fassen unter einer Nummer - differenziert durch angehängte
Kleinbuchstaben - alle zu einem Druck oder einer Ausgabe gehörigen
Zustände zusammen: auf das am Anfang stehende Original folgen "related
prints, early and late impression, proofs and reissues, copies and
copies in reverse". Jeder Druck bzw. jede Ausgabe ist ausführlich
bibliographisch beschrieben: u.a. Stecher, entwerfender Künstler,
Verleger, Titel, Erscheinungsort, (ungefähres) Jahr, Signaturen und
Monogramme, graphische Technik, Format, Inventarnummer sowie
Korrespondenzliteratur. Auf die aus Zahl und Kleinbuchstaben gebildete
Identifikationsnummer beziehen sich die Diagramme am Beginn jeder
Eintragung, die in der Vertikalen ebendiese Nummern aufführen und in
der Horizontalen die laufenden Nummern der zu einer Ausgabe gehörigen
Tafeln, wobei dann in der Schnittstelle beider Koordinaten durch ein
nicht ausgefülltes Quadrat angegeben ist, welche Tafel in welcher
Ausgabe vorhanden ist. Auf die Beschreibung folgen umfängliche
Anmerkungen, in denen sich die Verfasserin des Katalogs mit der Masse
der Sekundärliteratur kritisch auseinandersetzt. Der besondere Nutzen
dieses Katalogs liegt jedoch nicht zuletzt darin, daß sämtliche Tafeln
in starker (aber gut lesbarer) Verkleinerung abgebildet sind.
Man kann auf den Fortgang dieses Katalogunternehmens ebenso gespannt
sein, wie auf das Ergebnis der oben erwähnten Pläne der
Kunstbibliothek Berlin, ihren Gesamtbestand an Vorlagenwerken
umfassend zu verzeichnen. Einen neuen Weg wählt dagegen die zum
Victoria & Albert Museum gehörige National Art Library, die mit
finanzieller Hilfe des Heritage Lottery Fund in einem auf fünf Jahre
angesetzten Projekt seit 1997 ihren Gesamtbestand an Ornamentstichen
digitalisiert und nach Abschluß freien Zugang dazu im Internet
gewähren will.
Klaus Schreiber
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