Der Bogen spannt sich weit. Er reicht vom Jahr 1130, von der Abschrift des liturgischen Dramas Ordo stellae durch den Mönch Samuel im Kloster Munsterbilzen bis zum 21. Oktober 1993 und der Verleihung des Prins Bernhard Fonds Theater Prijs an Theu Boermans, den künstlerischen Leiter der Amsterdamer Theatertruppe De Trust.
Im Vorwort betont der Herausgeber, es ginge ihm und den Autoren vor allem darum, das Theater in seinen soziokulturellen Kontext zu stellen und alles zu zeigen, was das Theater ausmacht. Einzelne Episoden, einzelne Personen charakterisieren so die allgemeine Entwicklung, beleuchten die allgemeine Situation. So dient z.B. unter dem Datum vom 3. März 1953 die niederländische Erstaufführung von Becketts Warten auf Godot in Arnheim vor geschlossener Gesellschaft (eine öffentliche Vorstellung hatte die Stadt nicht zugelassen) als Aufhänger für einige Sätze über das kurze und unauffällige Leben das absurden Theaters in Holland und Belgien. An das Erscheinen der ersten niederländischen Theaterzeitschrift im Juli 1762 werden auf sechs Seiten Gedanken zur Theaterkritik geknüpft, und anhand eines der vielen Theaterbrände wird die Sicherheit der Theatergebäude diskutiert. Die 1983 zur Aufführung gebrachte Inszenierung von Shakespeares Lear durch Jan Decorte dient als grundsätzliches Beispiel für den neuen Umgang mit Klassikern.
So entsteht ein bunter Bilderbogen von Einzelaufnahmen, der die großen Linien des niederländischen Theaters erkennen läßt, auch wenn manches Episode oder reine Anekdote bleibt. Insgesamt wird deutlich, wie sehr das niederländische und flämische Theater in die europäische Tradition eingebettet, von europäischen Einflüssen geprägt ist und dennoch eine ganz eigene Entwicklung genommen hat.
Gernot Giertz