Auf den reichen und wohlgeordneten bibliographischen Daten aufbauend,
die für Medioevo latino in zwanzig Jahren gesammelt wurden, legt ein
Team unter der Oberaufsicht von maestro Clemente Terni und unter der
redaktionellen Leitung von Sofia Lannutti nunmehr eine
Spezialbibliographie zu allen Aspekten der mittelalterlichen Musik
vor: Medioevo musicale. Dabei reicht der Zeitrahmen, den sich die
Bearbeiter gesetzt haben, vom frühen Christentum bis in die Zeit um
1500. Der Berichtszeitraum von Bd. 1 umfaßt die Jahre 1991 bis 1995
(verzeichnet sind jedoch auch Studien aus den achtziger Jahren, wenn
sie im Berichtszeitraum rezensiert wurden); ab Bd. 2 sollen jeweils
die aktuellen Veröffentlichungen bis zum Erscheinungsjahr verzeichnet
werden. Die Mitarbeiter haben neben den für sie erreichbaren
Monographien und Sammelbänden rund 100 einschlägige Zeitschriften
ausgewertet und auf dieser Basis insgesamt 1642 Titel
zusammengetragen; dazu kommt noch die Diskographie mit 313 Aufnahmen
mittelalterlicher Kompositionen. Nicht wegen letzterer, sondern wegen
der Berücksichtigung der Musik in den volkssprachlichen Bereichen
bietet Medioevo musicale weit mehr Titel als in der Sektion Musik von
Medioevo latino. Soweit die Bearbeiter von Medioevo musicale die
angezeigten Aufsätze und Monographien direkt auswerten oder auf
aussagekräftige Besprechungen zurückgreifen konnten, sind den
bibliographischen Angaben mehr oder weniger ausführliche
Inhaltsangaben (in italienischer, in geringerer Zahl in englischer
Sprache) beigegeben, die für eine erste Orientierung sehr hilfreich
sind.[1]
Im Mittelalter nahm die Musik als eine der sieben freien Künste (artes
liberales) an der Seite der mathematisch ausgerichteten Disziplinen
Arithmetik, Geometrie und Astronomie einen festen Platz im allgemein
verbindlichen Bildungskanon ein und entfaltete in diesem Rahmen vor
allem mit ihren Lehren von Harmonie, Proportion und Zahlensymbolik
große Wirkung. Von größter praktischer Bedeutung waren Kenntnisse im
Bereich der Musik für jede kirchliche Gemeinschaft, die eine Vielzahl
unterschiedlichster liturgischer Feiern festlich zu gestalten hatte.
Und schließlich ist an die seit dem 12. Jahrhundert rasch
anschwellende weltliche und volkssprachliche Dichtung zu erinnern, die
zum überwiegenden Teil zum Vortrag mit musikalischer Begleitung
bestimmt war. Die vielfältigen Verbindungen der Musik zu den übrigen
Künsten und Wissenschaften spiegelt sich im Aufbau der Bibliographie
wider, die sich in sechs Hauptteile gliedert.
In Teil 1 finden sich in alphabetischer Ordnung die Einträge zu
einzelnen Autoren (Komponisten, Dichtern, Musiktheoretikern) und
anonymen Texten, ferner zur vita musicale in größeren geographischen
Einheiten und an einzelnen Orten (Bibliotheken, Klöster, Städte,
Universitäten); außerdem finden hier Arbeiten zur Geschichte und
Methodologie der Musikwissenschaft sowie einschlägige
Schriftenverzeichnisse ihren Platz. Teil 2 ist ganz den Studien zur
Liturgie gewidmet. Unter dem Stichwort der Monodie werden hier neben
den Studien über die nach ihrer Funktion unterschiedenen
handschriftlichen Quellen (Antiphonarien, Breviarien usw.) die
Forschungen zum Stundengebet und zur Meßfeier sowie zu den
unterschiedlichen regionalen Ausformungen der gottesdienstlichen
Feiern verzeichnet. In ähnlicher Gliederung finden sich in einem
zweiten Abschnitt Arbeiten zur mehrstimmigen liturgischen Musik. Der
breit gefächerte Teil 3 ist in fünf Abschnitte untergliedert. Die hier
aufgeführten Arbeiten befassen sich unter anderem 1. mit der
Textüberlieferung und ihrer philologischen Erschließung sowie mit den
Notenschriften; 2. mit der Musik zu nichtliturgischen Texten, mit
Instrumentalmusik und Theater, mit Quellenkunde sowie mit
etnomusicologia (z.B. mit Untersuchungen zur Musik der Juden); 3. mit
dem Verhältnis von Musik und Sprache, mit Kompositionstechnik und
Musiktheorie; 4. mit Ikonographie, Aufführungspraxis und
Musikinstrumenten; und schließlich 5. mit den Zusammenhängen zwischen
der Musik und den übrigen Künsten und Wissenschaften (Architektur,
bildende Kunst, artes liberales, Tanz, Philosophie, Literatur,
Rhetorik, Naturwissenschaft/Medizin, Theologie). Teil 4 umfaßt die
Nachschlagewerke wie z.B. Bibliographien, Handschriftenkataloge,
Diskographien, Wörterbücher und Lexika, Handbücher und Repertorien. In
Teil 5 findet man alle Arten von Sammelwerken, gegliedert nach
Tagungsbänden, Gesammelten Schriften, Festschriften und sonstigen
Gemeinschaftspublikationen. Der abschließende Teil 6, bearbeitet von
Angelo Rusconi, bietet die Diskographie, die sich im wesentlichen in
die Abschnitte zu einzelnen Komponisten, zu sakraler bzw. profaner
Monodie bzw. Polyphonie und zur Instrumentalmusik gliedert. Soweit wie
möglich werden Angaben zur Art des Tonträgers, zur Aufnahmetechnik,
zum Zeitpunkt der Aufnahme und zu den beteiligten Künstlern gemacht.
Die sehr fein gegliederte Bibliographie wird durch sechs Register
sorgfältig erschlossen: Handschriften, Ortsnamen, Personen und Sachen,
moderne Autoren und - im Hinblick auf die Diskographie - Kompositionen
sowie Ensembles und Dirigenten.
Wenn es den Herausgebern gelänge, außer einem Beiträger in Stockholm
weitere Mitarbeiter außerhalb Italiens zu gewinnen (wie dies seit
langem für Medioevo latino geglückt ist), ließe sich gewiß noch ein
höheres Maß an Vollständigkeit erreichen. Es ist zu wünschen, daß der
vorliegende erste Band von Medioevo musicale bald eine Fortsetzung
findet und die Bearbeiter mit ihrer benutzerfreundlichen Verzeichnung
und Präsentation der mediävistischen Musikwissenschaft zügig
vorankommen.
Christian Heitzmann
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