Zwar waren die meisten der Amtskalender als traditionelle Kalender konzipiert gewesen, mit Kalendarium, astronomischen, teilweise auch astrologischen Daten und Wetterregeln versehen, jedoch überwog in der Blütezeit der Amtskalender im 18. Jahrhundert, der nicht-kalendarische Teil in Umfang und Bedeutung, gelegentlich wurde auch auf den Kalenderteil ganz verzichtet. Gemeinsam ist jedoch allen Amtskalendern ein Verzeichnis öffentlicher Amtsinhaber, das zumindest die wichtigsten Staats- und Hofbeamte wie Militärangehörige umfaßt, meist noch Angaben zur Genealogie des regierenden Fürstenhauses macht und im übrigen eine Vielzahl von Angaben zur Staatsstatistik und Demographie, zur Verwaltungsgliederung und zur kirchlichen Administration, zu den Bildungseinrichtungen und Universitäten enthalten kann und häufig noch durch eine Reihe von amtlichen oder halbamtlichen Mitteilungen wie Postkursen, Messeterminen oder Torschlußzeiten ergänzt wird. Neben dem traditionellen Kalendergebrauch stand von Anfang an der höfisch-zeremonielle Gebrauch der Staatskalender wie auch ihre Nutzung als staats-statistisches Handbuch. Die Vielzahl der deutschen Territorien im 18. Jahrhundert dürfte die Verbreitung der Staatskalender in Deutschland gefördert haben, sahen doch deren Herausgeber, die fast immer zum administrativen Apparat gehörten und meist auf Veranlassung des Souveräns tätig wurden, in dem Staatskalender ein Abbild der staatlichen Souveränität. Für den historisch Tätigen haben die Amtskalender in vielerlei Sicht einen besonderen Nutzen: Zum einen - das wird meist auch besonders hervorgehoben - für die biographisch-prosopographische Einzelrecherche, dann jedoch als Quelle für die Territorialgeschichte ebenso wie für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte und schließlich als wichtiges Hilfsmittel für den Genealogen.
Indes zählen die Amtskalender und -handbücher zu der bibliothekarisch
nicht einfach zu bearbeitenden Literatur. Die Frage, ob es sich dabei
um Archiv- oder Bibliotheksmaterial handelt, ist letztendlich müßig,
als gedruckte und publizierte - wenn auch meist unter Umgehung des
Buchhandels verbreitete - Werke fallen sie zweifelsohne unter den
Sammelauftrag einer wissenschaftlichen Bibliothek. Dennoch dürfte das
Zitat eines Archivars aus dem Jahr 1955 auch heute die Wirklichkeit
nicht allzu sehr verzerren: "Mit amtlichen Druckschriften beschäftigen
sich die Archive selten oder nie aus Pflicht und nur gelegentlich aus
Neigung, die Bibliotheken fast nur aus Pflicht, kaum jedenfalls aus
Neigung..."[2]
Der Grund dafür dürfte unter anderem in der nur unzureichenden
Verzeichnung dieser überdies nicht einfach zu katalogisierenden
Gattung zu suchen sein. Diesem Mangel will das Repertorium von Volker
Bauer abhelfen, das auf ein von der Herzog-August-Bibliothek
Wolfenbüttel gefördertes Projekt zurückgeht. Die nun vorliegenden
ersten beiden Bände bieten eine auf Autopsie beruhende Beschreibung
der im Alten Reich, also bis 1806, erschienenen Amtskalender und
Amtshandbücher deutscher Territorien, wobei Bd. 1 die Staatskalender
27 nord- und mitteldeutscher Staaten, Bd. 2 die von 21 auf dem Gebiet
des heutigen Bayerns, Österreichs und Liechtensteins liegender
Territorien beschreibt. Die Erschließung der vom Bearbeiter bereits
ermittelten Amtskalenderserien Süddwestdeutschlands und der
rheinischen Territorien wird einem weiterem Band vorbehalten bleiben.[3]
Die Beschreibung ist ungewöhnlich ausführlich und beschränkt sich
nicht auf die Verzeichnung der Serien, sondern beschreibt jeden
einzelnen, durch eine Kennziffer identifizierbaren Band. Der Autor
legt ein zehn Kategorien umfassendes Schema zur Formalerschließung
zugrunde, das sich an den Grundsätzen bibliothekarischer
Formalkatalogisierung orientiert. Besitznachweise mit den
entsprechenden Signaturen werden ebenfalls aufgeführt, jedoch hat der
Bearbeiter darauf verzichtet, "das Vorhandensein jeder
bibliographischen Einheit in sämtlichen besuchten Institutionen zu
vermerken" (Bd. 1, S. 134 - 135). Darüber hinaus bietet das
Repertorium eine inhaltliche Klassifizierung, die sich 11
übergeordneter[4] und 65 einzelner Kategorien bedient.
Keiner der Kalender enthält alle Kategorien, andererseits ist das
Kategorienschema so durchdacht, daß sich mit ihm die aufgenommenen
Staatskalender fast vollständig inhaltlich klassifizieren lassen. Nur
für die Beschreibung lokaler Besonderheiten - so z.B. der
Gezeitenkalender der Hansestädte - muß auf eine zusätzliche verbale
Beschreibung zurückgegriffen werden. Da viele insbesondere der älteren
Amtskalender nur schwer zugänglich sind und daher die Arbeit mit ihnen
fast immer eine Bibliotheksreise voraussetzt, ist in der inhaltlichen
Klassifizierung, die eine Vorauswahl ermöglicht, der eigentliche und
spezielle Wert dieses Verzeichnisses zu sehen. Zwar wird für den
historisch arbeitenden Forscher das Personalverzeichnis, das wie die
Klassifikation des Repertoriums deutlich zeigt, in nahezu allen
Kalendern in weitgehender Vollständigkeit enthalten ist, der
entscheidende Teil der Staatskalender bilden, doch auch hier kann das
Repertorium über den Umfang des Personalteils Auskunft geben. Eine
eigenständige Erschließungsfunktion wird das Repertorium jedoch
besonders für die nur in einzelnen Amtskalendern enthaltenen
Inhaltskategorien haben, wie z.B. die Höfische Informationen oder die
für den Wirtschafts- und Sozialhistoriker besonders wichtige Kategorie
Statistik. Gerade der Umfang der statistischen Angaben nahm im Laufe
der Zeit deutlich zu und spiegelt damit auch zugleich einen Wandel vom
Hof- zum Staatskalender wider.
Der ausführliche Einleitungsteil, den Bauer Bd. 1 des Repertoriums
voranstellt, geht über eine eigentliche Einleitung weit hinaus und
stellt als grundlegende gattungsgeschichtliche Einführung den
Forschungsstand zu diesem speziellen Literaturtypus dar. Daneben nimmt
Bauer eine - teilweise auch quantitative - Auswertung seiner
Erschließungsarbeiten vor, dem sich eine sehr umfangreiche
Bibliographie zum Amtskalenderwesen anschließt.
Das Repertorium stellt für alle, die im Bereich der
Territorialgeschichte und der biographisch-prosopographischen
Einzelrecherche forschen, ein wichtiges Nachschlagewerk dar. Aus
bibliothekarischer Sicht ist lediglich der Wunsch nach dem
vollständigen Aufführen aller Besitznachweise offen geblieben, die
zweckmäßigerweise auch in der ZDB und in den Verbundkatalogen erfolgen
sollte.[5]
Klaus-Rainer Brintzinger
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