Wie es scheint, ist das Lexikon darum bemüht, das frühe Christentum als ein historisches Phänomen in sein geschichtliches Umfeld einzubetten, als ein zeitgebundenes, nur vor dem Hintergrund von Kenntnissen antiker Geschichte verständliches Thema zu definieren. Insofern macht die Encyclopedia auf den ersten Blick den Eindruck eines hauptsächlich historisch orientierten Nachschlagewerkes, das auch theologische Fragen der Zeit aus historischer Perspektive darzustellen versucht. Man mag zudem in der Übersichtlichkeit und Allgemeinverständlichkeit des Werkes weitere begrüßenswerte Eigenschaften sehen, und das Unternehmen, wie schon in verschiedenen Besprechungen der 1. Aufl. geschehen, als geglückte Bereicherung für die Beschäftigung mit einer durch Standardlexika noch lange nicht vollständig erschlossenen Materie würdigen. Dem ist bis zu einem gewissen Grad auch gar nicht zu widersprechen.
Leider geht das Lexikon in der Tendenz zur Historisierung des frühen
Christentums nicht weit genug. Auf dem Weg vom theologischen
Nachschlagewerk zum historischen Lexikon bleibt die Encyclopedia auf
halbem Weg stecken. Man kann das am Umgang mit den allgemein als
Schismen oder häretischen Strömungen bezeichneten Fällen von Dissens
und Spaltung in der frühen Kirche sehr deutlich sehen. Beispiel
Donatismus: Die Geschichte dieses auf Verhaltensweisen in der
Verfolgungszeit um 300 zurückgehenden Streites in der afrikanischen
Kirche wird zwar scheinbar sachlich, quellennah und im chronologischen
Ablauf referiert, doch die Autorität der (zumeist späteren) Quellen
(Optat und Augustinus) wird nicht in Frage gestellt und deren
Bewertungen werden, wie auch in weiten Teilen der wissenschaftlichen
Literatur, akzeptiert. Der Donatismus gilt demnach auch der
Encyclopedia ohne den geringsten Zweifel als eine schismatische
Bewegung. Daß er aber dazu erst aus der Sicht der später um Einheit
der Kirche bemühten Kirchenväter wurde, und ursprünglich nichts
anderes als ein auch schon im ersten und zweiten Jahrhundert
vorkommender Streit war, der erst vor dem Hintergrund sich
ausbildender Organisationsstrukturen der ("katholischen") Kirche als
ein Abfall begreifbar werden konnte, wird nicht thematisiert. [2] Gerade
das wäre aber eine echte Historisierung des Themas gewesen. Unter dem
Stichwort Schism ist nachzulesen, daß Einheit als Problem erst im
zweiten Jahrhundert gesehen wurde (m.E. ist auch das zu früh
angesetzt; Lösungskonzepte entstanden erst im vierten Jahrhundert).
Ein Stichwort Unity allerdings gibt es nicht. Warum? Wird etwa doch
ganz selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Kirche immer schon eine
Einheit war oder sehr schnell wurde, wie es Theologen und
Kirchenhistoriker bisweilen annehmen?[3]
Im Reallexikon für Antike und Christentum (RAC),[4] dem nach wie vor
wichtigsten Nachschlagewerk zu diesem Gebiet, ist über den
ereignisgeschichtlichen Ablauf hinaus noch sehr viel Aufschlußreiches
über die vorchristliche Religiosität Nordafrikas und die Spuren des
Saturn-Kultes in den regionalen Christengemeinden nachzulesen. Auch
dieser Aspekt fehlt in der Encyclopdia. Und das hat nicht unbedingt
etwas damit zu tun, daß das RAC schlichtweg sehr viel umfangreicher
ist.
Vergleichbare Defizite lauern überall in Beschreibungen der Übergänge
von antiker zu christlicher Welt, bei Themen wie Familie, Askese usw.
Hier und in dem gleichfalls kirchengeschichtlich eingeengten Blick auf
andere Bereiche und Personen (z.B. Paulus) erweist sich die
Encyclopedia dann doch als ein eher konventionelles, letztlich dem
Selbstverständnis der christlichen Religionen verpflichtetes Lexikon.
Davon unberührt bleibt sein Wert als Erstinformationsquelle für all
jene, die schnelle, knappe Einstiegsinformation suchen. Hier wird es
mit seiner Art zweifellos Verdienste erwerben, zumal ganze Gruppen von
Einträgen über weite Strecken von der vorgebrachten Kritik gar nicht
getroffen werden, am wenigsten da, wo lediglich Daten und Fakten
mitgeteilt werden. Bleibt als Fazit wie so häufig bei
Nachschlagewerken nur eine bedingte Empfehlung: Es kommt auch hier
darauf an, was der Nachschlagende eigentlich braucht.
Joachim Migl
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