Vor der Besprechung der CD-ROM soll jedoch zunächst ein kurzer
Vergleich der neuen Auflage mit der 10 Jahre älteren Vorgängerin
gezogen werden. Äußerlich unterscheidet sich die 3. Aufl. von der 2.
durch einen flexiblen Einband und eine um 12 Seiten verringerte
Seitenzahl. Die Neuauflage ist zudem um DM 6.00 billiger, was bei den
heutigen Preisgestaltung wissenschaftlicher Verlage angenehm
überrascht. Das Titelbild ist modern gestaltet und zeigt - ebenso wie
das booklet der CD-ROM - als Photographie die Augen eines zunächst
nicht näher zu bestimmenden Insektes. Der Entomologe findet seine
Vermutung, es könne sich hierbei um eine Florfliege handeln, zwar auf
der Rückseite des Titelblattes bestätigt,[4] ein entsprechender Hinweis
findet sich in dem Beiheft zur CD aber nicht. Dafür dient die
Titelgestaltung der 2. Aufl.[5] offensichtlich als Vorbild für die
Vorderseite der CD-ROM, die sich mit der Zeichnung eines
Bombardierkäfers[6] schmückt. Die altmodische Titelgestaltung, nämlich
mit einer exakten wissenschaftlichen Zeichnung, steht einem solchen
Werk sicher bessser als die moderne Variante mit einem verschwommenen,
erläuterungsbedürftigen Photo.
Inhaltlich gibt es zahlreiche Veränderungen bei Namen und
Gruppenzuordnungen aufgrund neuerer Forschungsergebnisse.[7] Die jetzt
gewählte Anordnung der Texte nach einem einheitlichen Schema von
Morphologie, Vorkommen, Verhalten über Ernährung bis Parasiten ist
übersichtlich und erleichtert das Zurechtfinden in den einzelnen
Themenbereichen. Eine alphabetische Randleiste sorgt für ein schnelles
Auffindung der Stichwörter. Die Abbildungen (die Anzahl gegenüber der
2. Aufl. ist etwa gleich geblieben) sind jetzt eingerahmt, dafür ist
manche Information in der Bildlegende auf der Strecke geblieben.[8]
Das sehr umfangreiche Literaturverzeichnis von 18 Seiten ist gründlich
überarbeitet und die zitierten Arbeiten endlich mit vollständigem
Titel und genaueren bibliographischen Angaben versehen. Die
Dreiteilung in Allgemein wichtige Literatur, Bestimmungsbücher und
zitierte Literatur ist nicht ganz glücklich, denn bei der zitierten
Literatur findet man auch Bestimmungsbücher, beispielsweise den Amann,
und bei der Bestimmungsliteratur - nur 4 Nennungen - vermißt man nicht
nur den Brohmer,[9] sondern auch den im selben Verlag erschienenen
Bährmann.[10]
Nun aber zu der Frage, ob Buch und CD-ROM als gleichwertige
Informationsmittel betrachtet werden können. Installiert ist die
CD-ROM schnell und problemlos, die Systemvoraussetzungen[11] sind niedrig
angesetzt, so daß die Scheibe auch auf älteren PCs laufen kann. Das
beiliegende, siebenseitige Heftchen ist hinsichtlich der
Funktionserläuterungen sehr dürftig und die Punkte Druck und Export
sind in der Funktionsübersicht und den Funktionserläuterungen
vertauscht. Startet die CD-ROM, erscheint auf dem Bildschirm, wie bei
Windows gewohnt, eine Menü-Leiste im oberen Bereich, deren Befehle
identisch sind mit der Symbolleiste im unteren Bildschirmbereich. Zum
besseren Verständnis der Symbolleiste sollte der Punkt
Funktionserläuterungen - versteckt sich unter Menü-Punkt
Hilfe/Bedienungsanleitung - aufgerufen werden, der wenigstens die
entsprechenden Symbole erläutert. Dem Impressum - Menü-Punkt
Info/Impressum - ist zu entnehmen, daß die CD-ROM 1201 Zeichnungen und
1001 Farbbilder enthält, dazu Video- und Tonsequenzen (der Waschzettel
gibt hierzu eine Gesamtlänge von ca. 8 Minuten an), zu deren Auffinden
allerdings detektivische Fähigkeiten und biologischer Spürsinn gefragt
sind (Video ist kein Suchbegriff), denn die Kriterien nach denen die
Video- und Tonaufzeichnungen verteilt wurden, sind nicht ersichtlich
und erscheinen zudem reichlich willkürlich. Welche Insekten sind
beispielsweise "videogen" - nach Meinung des Rezensenten eigentlich
alle - und/oder geben Töne von sich? Einprägsam ist vielen Menschen
wohl das Gezirpe der Grillen an lauen Sommerabenden. Also sucht man
unter dem Stichwort Grillen und finden hier auch bei der Feldgrille
eine Video- und Tonsequenz. Die Tonsequenz bei den Sattelschrecken
(Ephippigeridae) mag zwar korrekt sein, erinnert aber eher an das
Knacken eines kaputten Lautsprechers. Teilweise sind die Videos nicht
sonderlich informativ, das Prinzip des teleskopartigen Atemrohres der
Rattenschwanzlarven zum Beispiel wird durch eine Zeichnung[12] wesentlich
besser demonstriert. Auch die Feldwespe beim Wabenbau ist einer
Videoaufzeichnung für würdig befunden worden, nicht aber die Biene mit
ihren ausgeprägten Tanzformen (z.B. Schwänzeltanz) und das schlüpfende
Taubenschwänzchen (ein Schmetterling) wirkt äußerst hektisch, muß es
diese Leistung doch in 27 Sekunden vollbringen. Zumindet eine
Videosequenz ist völlig irreführend. Beim Stichwort Andrena
(Sandbienen) kann ein Video aufgerufen werden, das
Kopulationsbewegungen der Biene an zwei Orchideenarten zeigen soll,
laut Legende zunächst an Ophrys tenthredenifera, dann an Ophrys fusca.
Hier wurde die Reihenfolge der Pflanzen vertauscht und das beteiligte
Insekt ist keine Sandbiene, wie bei dem Stichwort eigentlich zu
erwarten ist, sondern Eucera spec, eine Langhornbiene. Beim Stichwort
Eucera finden wir dasselbe Video, wieder mit den vertauschten
Orchideen, aber wenigstens mit der richtig zugehörigen Art. Ein
drittes Mal taucht die Videoaufzeichnung beim Stichwort Ophrys auf,
nun mit richtiger Legende - zunächst O. fusca, dann O. tenthredenifera
- dafür ist die Biene aber nicht die angegebene Andrena sondern
korrekt Eucera. Zu diesem Komplex läßt sich sagen, daß die Video- und
Tonsequenzen nicht unbedingt überzeugen können. Es sind nette, aber
durchaus entbehrliche Spielereien.
Viele Eintragungen erscheinen auch mit Bilddateien überfrachtet. Die
Vespula (Wespe) kann auf der CD-ROM bei 8 Zeilen Information mit 9
Bildern glänzen, im Buch sind es zwei Abbildungen. Dafür spart man bei
der CD-ROM am Text, denn wichtige Informationen des Buchbeitrages
werden unterschlagen. Dieses Beispiel ist leider eines von vielen, die
zeigen, daß die Textkonkruenz zwischen CD-ROM und Buch leider nicht
durchgehend gegeben ist.[13]
Zudem ist eine Bilddatei (2. Bild beim Stichwort Osmaterium) nicht
darstellbar. Der Versuch, diese Datei sichtbar zu machen, führt
letztendlich zum Absturz.[14] Die Rückfrage bei der für die Software
verantwortlichen Firma ergab, daß diese Bilddatei (und hoffentlich nur
diese) beschädigt ist.[15]
Für die sachliche Recherche gibt es 3 Möglichkeiten:
1. Blättern in der alphabetisch sortierten Stichwortliste (entspricht
weitgehend den Stichwörtern der Druckausgabe). Hier hat der Verlag
listigerweise auch seine Werbung untergebracht. So findet sich
zwischen den Einträgen Faltenwespen und Fanghafte der Fang wirbelloser
Tiere, ein im gleichen Verlag erschienenes Buch. Auch das Stichwort
Physiologie der Insekten führt den Leser nicht in die elementaren
Begriffe der Insektenphysiologie ein, sondern zeigt einen Buchtitel.
Apropos Physiologie: Juvenilhormon, Bombycol und Pheromone werden zwar
in Buch und CD-ROM erläutert, nicht aber Chitin, das als
Gerüstsubstanz bei den Insekten eine bedeutende Rolle spielt. Dafür
führt Chitinpanzer als Suchbegriff in der CD-ROM wenigstens zu einer
Verweisung auf Kermesidae (Schildläuse), das Buch muß hierbei passen.
2. Eingabe eines Stichwortes im Menü Stichwortsuche, was zum
entsprechenden Eintrag in der Stichwortliste führt und
3. Volltextsuche, wobei der Suchtext als Wort oder Wortbestandteil im
gesamten Lexikon gesucht wird. Es wird eine gezielte Auswahlliste
erstellt, die den Suchbegriff, meist rot unterlegt, enthält. Diese
Möglichkeit der Recherche wird man bevorzugen, weil man schnell und
mühelos an alle Informationen zu einem bestimmten Thema kommt.
Beispiel: Apis als Stichwortsuche führt neben dem eigentlichen Treffer
bei den Bienen lediglich zu zwei weiteren Fundstellen, aber als
Volltextsuche ergeben sich insgesamt 12 Treffer. Allerdings hat man
sich bei der möglichst vollständigen Trefferanzeige recht schnell den
Bildschirm mit Fenstern zugekleistert. Jedoch hat auch die
Volltextsuche ihre Tücken, wie folgendes Beispiel zeigt (in der
Abfolge Eingabe - Treffer - Bemerkungen): 1. Schwebfliege - 2 - davon
1 Treffer Geschützte Insekten. - 2. Schwebfliegen - 9 - kein Treffer
Geschützte Insekten. - 3. Schwebflieg* - 10 - 9 Treffer wie bei 2.
plus Geschützte Insekten. Die Eingabe des Begriffs im Singular und
Plural führt zu unterschiedlichen Trefferergebnissen, Trunkierung des
Begriffs ist möglich, wird in der Erläuterung aber nicht erwähnt.
Warum die Schwebfliegen mal bei dem Treffer Geschützte Insekten
auftauchen und mal nicht, bleibt das Geheimnis der CD-ROM. Es ist
müßig, zu erwähnen, daß bei dem den Schwebfliegen zugehörigen Text
Syrphidae auch hier Textpassagen des Buches unterschlagen werden.
Nicht jedes Stichwort im Buch findet sich entsprechend auf der CD-ROM:
Tympanalorgane ist ein Stichwort im Buch, nicht aber auf der CD-ROM
und das Trommelorgan, im Buch ausführlich erläutert, führt auf der
CD-ROM lediglich zu einer Unterverweisung auf eine Insektengruppe.
Vermißt wird auf der CD-ROM auch die Schemazeichnung des geflügelten
Insekts, die für das anatomische Verständnis wichtig ist. Manche
Fundstelle ist auch sehr versteckt. Die Suche nach Schlupfwespen
ergibt 32 Fundstellen, aber nur 28 werden in der Auswahlliste
angezeigt, u.a. Platycnemidae (Federlibellen). Hier findet man den
Suchbegriff nur in einer Abbildungslegende.[16] Allerdings ist dieser
Hinweis auf dem Bildschirm nicht mehr lesbar, da die Abbildung wegen
der Größe nicht vollständig gezeigt werden kann. Dieses Problem tritt
hauptsächlich bei Hochformaten auf.
Und wenn wir schon bei der Bildlegende sind, muß ein weiteres Ärgernis
erwähnt werden. Zunächst ist es erfreulich, daß man die Bilder - und
auch Texte - in die Zwischenablage kopieren und damit für die
Weiterverarbeitung in einem Textprogramm nutzen kann. Dabei erlebt man
aber folgende Überraschung: es wird zwar das Copyright des Fischer
Verlages als schöner schwarzer Balken mitkopiert, nicht aber die
Bildlegende, geschweige denn der Autor oder die Quelle der Abbildung.
Das ist eine Verletzung des Copyrights des Autors.[17]
Positiv ist zu bemerken, daß Artnamen und viele in der Stichwortliste
nicht enthaltene Begriffe nur in der CD-ROM zu recherchieren sind.[18]
Ebenso kann man Autorennamen eingeben und erhält die Zitatstelle auf
der CD-ROM. Leider ist das Literaturverzeichnis - im Gegensatz zur
bereits erwähnten Buchwerbung - nicht durch Suchfunktionen erschlossen
und enthält erstaunlicherweise weniger Einträge als die Buchausgabe.
Fazit: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die CD-ROM, lt.
Verlag ihr erstes Multimediaprodukt, mit heißer Nadel gebrannt wurde,
um auch auf dem Sektor der elektronischen Nachschlagewerke zu glänzen.
Leider ist dabei einiges an Informationen auf der Strecke geblieben.
Die Stärke der CD-ROM liegt zweifellos im Bereich der thematischen
Suche, dafür ist aber die Buchausgabe aktueller und sorgfältiger
bearbeitet. Bei den Macken, die diese CD aufweist, kann man sie als
willkommene, allerdings überteuerte Beilage zum Buch empfehlen, nicht
aber als adäquaten Ersatz zur gedruckten Ausgabe. Auf jeden Fall
sollte das Werk in keiner Bibliothek fehlen, denn es ist, wie schon
Karl v. Frisch[19] in seinem immer noch gültigen Geleitwort bemerkte,
eine wahre Fundgrube biologischen Wissens.
Joachim Ringleb
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