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4 Bewertung
  
 

Dem Problem der Bewertung biographischer Informationsmittel wird vor allem in der amerikanischen Fachliteratur viel Aufmerksamkeit geschenkt. Da eine Nachprüfung der Zuverlässigkeit jedes einzelnen biographischen Artikels nicht möglich ist und sich allenfalls Stichproben machen lassen, gilt es, allgemeine Bewertungskriterien für die retrospektiven biographischen Informationsmittel einerseits und für die kurzbiographischen Lexika andererseits aufzustellen. Die Kenntnis von Bewertungskriterien für biographische Informationsmittel ist besonders dann wichtig, wenn nur eine Quelle zur Verfügung steht, sei es, weil die Person wirklich nur darin behandelt ist, oder weil andere einschlägige Werke gerade nicht zur Hand sind, damit diese Quelle dann mit der gegebenenfalls gebotenen Vorsicht benutzt werden kann.

  
  
41 Reputation der Bearbeiter, der Redaktion oder der herausgebenden Körperschaft bzw. des Verlages
  
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Nationalbiographien werden häufig von wissenschaftlichen Gesellschaften oder eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufenen wissenschaftlichen Gremien getragen, die durch eine von ihnen bestellte Redaktion den organisatorischen Rahmen schaffen, Richtlinien für die Bearbeitung entwerfen und geeignete Mitarbeiter für einzelne Artikel gewinnen 1. In diesen Fällen wird man mit einer hohen Zuverlässigkeit der so entstandenen biographischen Informationsmittel rechnen können. Als Hilfsmittel zur Beurteilung der Qualität einer Biographie, insbesondere dann, wenn ihre Artikel namentlich gezeichnet sind, kann das Verzeichnis der Mitarbeiter dienen, das außer Referenzen über ihre wissenschaftliche Tätigkeit möglichst auch ihre einschlägigen Veröffentlichungen nachweisen sollte 2; letzteres ist selten, läßt sich aber durch Nachschlagen in Schriftstellerlexika ermitteln.

 

Die Auswahlkriterien und die Bearbeitungsrichtlinien sind so gut wie nie in extenso abgedruckt und in der Regel sind sie nur in mehr oder weniger pauschaler Form dem Vorwort zu entnehmen, so daß man ihre Einhaltung in dem einen oder an deren Fall zwar nachprüfen kann, doch wird man sich hier letztlich doch auf die Reputation der herausgebenden Körperschaft verlassen.

 
  1. Neue deutsche Biographie / hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. - IFB 99-B09-299.

  2. Die großen Deutschen. - s.o. POS 234.
  
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Ähnlich wie bei den allgemeinen Nationalbiographien liegt der Fall bei den Regionalbiographien und bei den retrospektiven Fachbiographien, für deren Herausgabe zumeist entweder gleichfalls eine wissenschaftliche Gesellschaft 1, ein Fachverband 2 oder als Fachleute ausgewiesene Bearbeiter verantwortlich sind 3.

 
  1. Lebensbilder aus Baden-Württemberg / im Auftrag der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg hrsg. von ... - IFB 99-B09-433.

  2. Who's who in library and information services / Joel M. Lee, ed. in chief. - Chicago : American Library Association, 1982. - XIV, 559 S. - ABUN in ZfBB 30 (1983),2, S. 164.
    Vgl. auch die zahlreichen Publikationen der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien e.V., von denen mehrere im vorliegenden Beiheft besprochen werden: IFB 99-B09-399 - 400, 402 - 403, 466, 476.

  3. Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare : 1925 - 1980 / Alexandra Habermann ; Rainer Klement ; Frauke Siefkes. - Frankfurt am Main : Klostermann, 1985. - XXVI, 417 S. - (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie : Sonderheft ; 42).
    Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches. - IFB 99-B09-351

  
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Im Unterschied zu den bisher genannten Fällen entstehen (fortlaufend erscheinende) kurzbiographische Lexika in aller Regel durch Fragebogenerhebung. Entscheidend für die Zuverlässigkeit dieser Angaben ist die Tätigkeit der Herausgeber: werden die Angaben auf den Fragebögen ungeprüft abgedruckt oder werden sie kritisch nachgeprüft? Leider ist über die Praktiken der Herausgeber nur selten Genaueres zu erfahren 1. Jedenfalls ist immer dann größte Vorsicht am Platz, wenn bekannt ist, daß der Abdruck einer Biographie an die Bezahlung einer Gebühr gebunden ist oder stattdessen die Verpflichtung des Aufgenommenen besteht, ein Exemplar der jeweiligen Auflage zu erwerben; für diesen Zweck werden dann "repräsentative Luxusausgaben, in Schweinsleder gebunden, mit Goldschnitt" angeboten; es kann aber auch eine Zeilengebühr verlangt werden, die demjenigen, der zu einer entsprechend hohen Zahlung bereit ist, einen besonders ausführlichen Artikel sichert. Üblich ist auch das Verfahren, die biographischen Mindestinformationen zwar kostenlos abzudrucken, für alle weiteren Informationen aber eine Zeilengebühr zu fordern. Welche biographischen Nachschlagewerke diese Praktiken anwenden und somit ihre Existenz ganz oder weitgehend der Eitelkeit der aufgenommenen Personen verdanken, läßt sich nicht ohne weiteres feststellen. Während die führenden, meist seit Jahrzehnten erscheinenden nationalen Who's who derartigen Praktiken nicht nötig haben (was nicht ausschließt, daß sie in ihrer Anfangszeit ebendiese Praktiken anwandten), muß man bei jüngeren, konkurrierenden Unternehmen eher mit solchen Praktiken rechnen, da der Grund für ihre Existenz weniger daher rührt, daß es nicht genügend biographische Informationsmittel gibt, sondern daher, daß ein Verleger in der Vermarktung biographischer Informationen ein einträgliches Geschäft vermutet. In den USA hat sich zur Bezeichnung derartiger Verlage der Begriff vanity press eingebürgert 2.

 
  1. POS 8, 1983 Wheatcroft.
  2. Auf dubiose Praktiken einschlägiger Verlage wurde anläßlich der Rezensionen ihrer Produkte mehrfach in ABUN in ZfBB hingewiesen: 27 (1980),1, S. 66 und 35 (1988),2, S. 168 - 169 (Verlag für Industrie- und Wirtschaftswerbung, Berlin, der später als IBP Intercontinental Book Publishing in Deutschland GmbH, Berlin firmiert) sowie 37 (1990),1, S. 48 - 50, insbesondere Anm. 2a (Melrose Press, Cambridge).
    Vgl. auch IFB 99-B09-313 und 431

  
  
42 Auswahlkriterien
  
 

Die Kriterien für die Auswahl der aufzunehmenden Personen sollten eigentlich stets genau definiert sein, sind es jedoch oft nur pauschal, sehr häufig auch gar nicht.

  
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Selbst retrospektive Nationalbiographien auf wissenschaftlicher Grundlage begnügen sich zumeist mit derartig pauschalen Angaben über die Auswahlkriterien: Es "sollen diejenigen Persönlichkeiten Aufnahme finden, in deren Taten und Werken sich die Entwicklung der deutschen Geschichte in Wissenschaft, Kunst, Handel und Gewerbe, kurz in jedem Zweig des politischen, geistigen und wirtschaftlichen Lebens darstellt" 1. Für den Nutzen einer Nationalbiographie als Informationsmittel ist jedoch auch entscheidend, ob eine sehr strenge Auswahl getroffen wird, also nur die relativ kleine Zahl der "hervorragendsten" Personen aufgenommen wird, oder ob die Auswahl großzügig ist und die Aufnahme vieler, auch zweitrangiger Personen vorsieht. Nationalbiographien des letzteren Typs sind besonders nützlich, da Informationen über weniger bekannte Personen sonst nur mühselig zu finden sind, während man die wichtigsten Informationen über die ganz berühmten Personen auch jeder Allgemeinenzyklopädie entnehmen kann.

 
  1. Neue deutsche Biographie. - Bd. 1 (1953), S. VII - VIII. - Zur Berücksichtigung der "kleinen Berühmtheiten" in künftigen Bänden der NDB vgl. IFB 99-B09-299.

  
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Weniger problematisch ist im allgemeinen die Auswahl bei Fachbiographien, unproblematisch ist sie bei Institutionenbiographien.

  
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Auch die allgemeinen kurzbiographischen Lexika enthalten in der Regel nur ganz allgemeine oder gar keine Aussagen über die Auswahlkriterien. Sieht man von den kommerziellen Produkten ab, die Biographien gegen Bezahlung aufnehmen, und hält man sich an die seriösen Informationsmittel dieses Typs, so wird man damit rechnen können, daß leitende Repräsentanten aus Staat, Wirtschaft und Kultur ab einer gewissen Stufe ebenso automatisch aufgenommen werden, wie Angehörige von Berufsständen ab einem gewissen Rang 1.

 
  1. POS 8, 1983 Wheatcroft und die anderen dort genannten Rezensionen.

  
  
43 Länge der Artikel
  
 

Die Länge der biographischen Artikel ist primär abhängig vom Typ der Biographie, d.h., daß sie in einer Nationalbiographie ausführlicher sein werden als in einem kurzbiographischen Lexikon für Zeitgenossen. Im ersteren Fall ist zu beachten, daß die Länge jedoch nicht immer der Bedeutung einer Person entspricht, da Nachrichten über sehr bedeutende historische Personen durchaus dürftig sein können. Auch ist zu bedenken, daß die Bedeutung, die einer Person zugemessen wird und die ihren Ausdruck in einer längeren oder kürzeren Behandlung findet, zeitbedingt ist und daher Veränderungen unterliegt: Es genügt, zwei sukzessive Ausgaben einer Nationalbiographie daraufhin zu vergleichen 1.

 
  1. Ein - zugegebenermaßen - extremes Beispiel stellt der Artikel Otto von Bismarck dar: In der Allgemeinen deutschen Biographie, Bd. 46 (1902) nimmt er die S. 571 - 775 ein, in der Neuen deutschen Biographie, Bd. 2 (1955) die S. 268 - 277.

  
  
44 Reprokumulationen biographischer Informationsmittel
  
 

Entscheidendes Bewertungskriterium für die Qualität einer Reprokumulation biographischer Informationsmittel ist die Auswahl der auszuwertenden Quellen. Da es natürlich das Bestreben sein wird, möglichst viele verschiedene Namen nachzuweisen, müssen außer den großen Allgemeinbiographien auch Regional-, Lokal-, Epochen-, Gruppen- und Fachbiographien vertreten sein. Die Folge davon ist allerdings, daß es, eine komplette Auswertung der Quellen vorausgesetzt, für die bekannten Namen zu einer wenig sinnvollen Häufung von Eintragungen kommt. Eine Auswahl der Quellen nach ihrem Wert wird dagegen nur in seltenen Fällen möglich sein, da mit dieser Aufgabe selbst versierte Herausgeber überfordert wären. Andererseits stellt allein schon die chronologische Präsentation der Artikel ein Korrektiv dar, da man relativ leicht übersehen kann, wie biographische Traditionen (durch Abschreiben) entstanden sind und wo ein Biograph Neues zu berichten weiß, wobei zumindest bei den älteren biographischen Informationsmitteln nicht immer festzustellen sein wird, ob die neuen Informationen aus zuverlässigen Quellen geschöpft sind.

 

Einen prinzipiellen Nachteil, den man sich bei der Benutzung stets deutlich vor Augen halten muß, weisen jedoch alle Reprokumulationen biographischer Nachschlagewerke auf. Sie können unter Beachtung des Urheberrechts, dem die neueren und neuesten auszuwertenden Quellenwerke unterliegen, diese nur dann berücksichtigen, wenn der Inhaber des Urheberrechts es gestattet. Glücklicherweise geschieht das zunehmend, so daß die maßgeblichen Beispiele für Reprokumulationen, nämlich die Biographischen Archive des Verlags K. G. Saur, die zunächst nur Quellen auswerteten, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen sind, inzwischen mit neuen Lieferungen fortgeführt werden, die Quellen jüngeren und sogar jüngsten Datums berücksichtigen 1.

 

Trotzdem fehlen potentiell natürlich die Informationen aus den zahlreichen neueren und neuesten Biographien, obwohl gerade diese in erster Linie heranzuziehen sind, da es sich, zumindest bei denjenigen auf wissenschaftlicher Grundlage, um die jeweils gültigen Biographien handelt, die die ältere biographische Tradition verarbeitet oder sie in entscheidenden Punkten korrigiert haben, so daß man die Informationen aus den älteren Biographien nur noch ausnahmsweise benötigen wird. Auch enthalten die neuen biographischen Informationsmittel auf Grund ihrer Spezialisierung und der Berücksichtigung von Personengruppen, die in den älteren Biographien unterrepräsentiert waren (z.B. Frauen, Wirtschaftsführer, "Unorthodoxe" unterschiedlichster Couleur) besonders viele zusätzliche Namen.

 

Der Verlag sollte daher dringend die zu seinen Biographischen Archiven erstellten Register, die sich bisher ausschließlich auf die dort vorkommenden Namen beschränken, durch den Nachweis von Fundstellen in anderen - kritisch ausgewählten -, bisher nicht ausgewerteten Quellen systematisch ergänzen. Sinnvollerweise sollte dazu die laufend erscheinende CD-ROM-Ausgabe gewählt werden 2.

 
  1. IFB 99-B09-004.
  2. Internationaler biographischer Index [Computerdatei]. - IFB 99-B09-008.

  
  
45 Computerdateien
  
 

Der größte Vorteil der biographischen Informationsmittel in digitalisierter Form gegenüber der weitgehend eindimensionalen Zugriffsmöglichkeit gedruckter Nachschlagewerke liegt in erweiterten Recherchemöglichkeiten durch die Kombination verschiedener Suchkriterien. Dazu kommt die Möglichkeit, Personen nach gewissen Kriterien selektieren zu können (z.B. Absolventen einer bestimmten Universität oder Ärztinnen in einer bestimmten Region). Das setzt allerdings eine entsprechende Aufbereitung der Daten voraus, mit der keineswegs immer gerechnet werden kann. Da es sich bei den derzeit angebotenen biographischen Computerdateien z.T. um ursprünglich gedruckte Dienste handelt, muß bei derartigen Recherchen auch bedacht werden, daß die Daten nicht immer einheitlich erfaßt sind, kam es doch bei den gedruckten Verzeichnissen vor allem auf Komprimierung an, z.B. durch Verwendung zahlreicher und nicht immer einheitlicher Abkürzungen 1. Ein weiterer Vorteil besteht in dem potentiellen Aktualitätsvorsprung gegenüber gedruckten Biographien, doch ist dieser keineswegs in allen Fällen vorhanden.

 
  1. POS 8, 1984 Kennedy.
  
  

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